Vergebung
Mikael warf einen Blick auf den Titel und stellte fest, dass es sich um ein englisches Buch über das antike Gottesbild handelte. Dann hob er den Blick wieder und musterte seinen unerwarteten Besuch. Sie stand auf. Sie trug ein kurzärmliges weißes Sommerkleid und hatte eine ziegelrote Lederjacke über das Treppengeländer gehängt.
»Wir müssten uns mal mit Ihnen unterhalten«, sagte sie.
Mikael Blomkvist betrachtete sie. Sie war groß, größer als er, ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, dass sie zwei Stufen über ihm stand. Er musterte ihre Arme, ließ dann den Blick zu ihren Beinen wandern und sah, dass sie bedeutend muskulöser war als er.
»Sie verbringen aber auch jede Woche ein paar Stunden im Fitnessstudio«, stellte er fest.
Sie zückte lächelnd ihren Ausweis.
»Ich heiße …«
»Sie heißen Monica Figuerola, sind 1969 geboren und wohnen in der Pontonjärgatan auf Kungsholmen. Ursprünglich kommen Sie aus Borlänge, haben dann aber bei der Polizei in Uppsala gearbeitet. Seit drei Jahren sind Sie für die RPF/ Sich beim Verfassungsschutz tätig. Sie sind Sportfanatikerin und waren früher mal eine Spitzenleichtathletin, die es beinahe in die schwedische Nationalmannschaft geschafft hätte. Was wollen Sie von mir?«
Sie war überrascht, fasste sich aber schnell und nickte.
»Gut«, sagte sie leichthin, »dann wissen Sie ja, wer ich bin und dass Sie keine Angst vor mir haben müssen.«
»Nein?«
»Es gibt da ein paar Leute, die sich mal in aller Ruhe mit Ihnen unterhalten wollen. Da Ihre Wohnung und Ihr Handy offenbar abgehört werden, bin ich persönlich zu Ihnen geschickt worden, um Sie abzuholen.«
»Und warum sollte ich mit einem Menschen, der für die SiPo arbeitet, irgendwo hinfahren?«
Sie überlegte kurz.
»Tja … Sie können meine freundliche Einladung annehmen, aber wenn Ihnen das lieber ist, kann ich Ihnen auch Handschellen anlegen und Sie einfach mitnehmen.«
Sie lächelte zuckersüß. Mikael Blomkvist lächelte zurück.
»Wissen Sie, Blomkvist … ich verstehe, dass Sie nicht allzu viele Gründe haben, jemandem von der RPF/Sich zu vertrauen. Aber es ist tatsächlich so, dass nicht alle, die dort arbeiten, Ihre Feinde sind, und es gibt sehr gute Gründe, warum Sie ein Gespräch mit meinen Auftraggebern führen sollten.«
Er wartete weiter ab.
»Also, wofür entscheiden Sie sich? Handschellen oder freiwillig mitkommen?«
»Mir hat die Polizei dieses Jahr schon einmal Handschellen angelegt. Mein Bedarf ist gedeckt. Wohin fahren wir?«
Als sie ins Auto stiegen, klappte sie ihr Handy auf und drückte eine Kurzwahltaste.
»Wir sind in fünfzehn Minuten da«, sagte sie.
Sie achtete darauf, dass Mikael Blomkvist sich anschnallte, fuhr via Slussen nach Östermalm und parkte in einer Querstraße der Artillerigatan. Als sie anhielten, blieb sie noch einen Moment sitzen und betrachtete ihn.
»Herr Blomkvist … das Ganze ist ein freundliches Angebot. Sie riskieren dabei überhaupt nichts.«
Mikael Blomkvist antwortete nicht. Er wartete mit seinem Urteil, bis er wusste, worum es ging. Sie gab den Zahlencode an der Tür ein, dann fuhren sie mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock, wo sie zu einer Wohnung mit dem Namensschild »Martinsson« gingen.
»Wir haben uns diese Wohnung nur für das heutige Treffen gemietet«, sagte sie und öffnete die Tür. »Bitte rechts, ins Wohnzimmer.«
Als Erstes erblickte Mikael Torsten Edklinth, was keine große Überraschung war, da die SiPo in höchstem Maße in die Geschehnisse verwickelt war und Edklinth Monica Figuerolas Vorgesetzter war. Dass der Chef des Verfassungsschutzes sich die Mühe gemacht hatte, ihn holen zu lassen, ließ darauf schließen, dass sich hier jemand ganz schöne Sorgen machte.
Dann sah er eine Gestalt am Fenster, die sich zu ihm umdrehte. Der Justizminister. Das freilich war eine Überraschung.
Schließlich hörte er ein Geräusch und sah zu seiner Rechten eine unerhört bekannte Person von einem Sessel aufstehen. Er hatte nicht damit gerechnet, dem Ministerpräsidenten persönlich zu begegnen.
»Guten Abend, Herr Blomkvist«, begrüßte ihn der Ministerpräsident. »Entschuldigen Sie, dass wir Sie so kurzfristig zu diesem Treffen gebeten haben, aber wir haben die Situation besprochen und sind uns einig, dass wir mit Ihnen reden müssen. Kann ich Ihnen einen Kaffee oder etwas anderes zu trinken anbieten?«
Mikael sah sich um. Auf dem Esszimmertisch standen mehrere Gläser, leere Kaffeetassen und die Reste
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