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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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schon so viel größere Schmerzen durchgestanden, größere, als du je dachtest ertragen zu können, das hier ist nichts dagegen.
    Links, rechts, links, rechts.
    Jake, Diana, Jake, Diana.
    Er rutscht auf Felsgeröll aus und muss sich festhalten, um nicht zu fallen, aber das macht nichts. Nur eins zählt:
    Vergeltung
    Vergeltung ist oben auf dem Gipfel des Berges.
    Ist auf der anderen Seite.
    Benutze deinen Zorn als Treibstoff.
    Dieser Tank wird niemals leer.
    Er schafft es bis zum Gipfel.
    Unter sich sieht er das Team in einer langgezogenen Kette. Alessandro vergrößert kontinuierlich seinen Vorsprung, und Cody bleibt ihm auf den Fersen. Der Italiener stammt aus den Alpen und rennt wie eine Bergziege.
    Dave holt Luft und beginnt den Abstieg.
    Wenn es bergauf weh tat, dann war das nichts im Vergleich zu bergab, er tritt härter auf, läuft schneller, und seine Rippen schreien ihn an, er möge stehen bleiben. Simons Warnung fällt ihm wieder ein, eine Rippe könnte brechen und er innerlich verbluten, ohne es zu merken.
    Nicht ausbluten, sondern vollbluten.
    Aufrecht sterben.
    Gut.
    Ein guter Tod.
    Dabei bin ich längst innerlich verblutet.
    Mir wurde das Herz gebrochen, und ich bin innerlich verblutet.
    Links, rechts, links, rechts.
    Jake, Diana, Jake, Diana.
    Er achtet darauf, wohin er seine Füße setzt. Zu fallen und sich die Rippen endgültig zu brechen, wäre jetzt keine gute Idee. Der erfolgreichen Durchführung dieser Mission nicht unbedingt zuträglich, scherzt er in Gedanken mit sich selbst. Also passt er auf, wohin er seine Füße setzt, weicht Steinen aus, tritt fest auf, auch wenn das noch mehr schmerzt.
    Sind ja nur Schmerzen.
    Als er unten ankommt, sieht er in der düsteren Dämmerung niemanden mehr.
    Schon in Ordnung, denkt er.
    Du warst bis hierher auf dich allein gestellt, warum sollte es plötzlich anders sein?
    Jetzt läuft er auf flacher Strecke, joggt über den felsigen Weststrand, wo er sich an jedem Stein den Fuß verstauchen oder ausrutschen und auf die Fresse fliegen kann. Der Schmerz ist fast schon eintönig, wie ein alter Freund, der einem zum tausendsten Mal dieselbe Geschichte erzählt. Jetzt ist es weniger ein Stechen als ein permanentes Pochen, und er richtet den Rhythmus seiner Schritte daran aus.
    Links, rechts, links, rechts.
    Jake, Diana, Jake …
    Er fällt.
    Er rutscht mit dem linken Fuß auf einem Stein aus, merkt,dass er fällt, und streckt die Hand aus. Der Schmerz schießt wie Feuer durch ihn hindurch und weckt ihn aus seinem Tagtraum, er umrundet die nördliche Seite der Insel und läuft auf Sand, das ist auf andere Art quälend, weil er tief einsinkt, was ihm das Laufen erschwert, seine Wadenmuskulatur brennt, aber er weiß, dass er sich jetzt wieder auf dem Rückweg befindet. Wie hat sein Vater immer gesagt: »Kurz vor der Scheune.«
    Jetzt ist es dunkel.
    Schwarz und silbrig glänzt die Welt im Licht des Vollmonds.
    Über dem Strand leuchtet ein Film aus Wasser.
    Läufer sprechen von einer Wand – man knallt dagegen, durchstößt sie, und dann ist das Laufen leichter. Er lässt sich in den Rhythmus fallen.
    Langsam, aber stetig.
    Es geht nicht darum, als Wievielter du ins Ziel kommst, es geht darum, dass du ans Ziel kommst, und wenn du ans Ziel kommst, können sie dich nicht vom Einsatz ausschließen, also komm ans Ziel.
    Links, rechts, links, rechts.
    Jake, Diana, Jake, Diana.
    Jake reitet Huckepack und lacht. Noch mal, Daddy, noch mal, hühott, Daddy, hühott. Diana lehnt am Wagen und sieht zu, liebt sie beide, liebt ihn. Ich trage dich, Jake, ich trage dich, mein Sohn, ich wünschte, ich hätte dich vom Himmel heruntertragen können, mit euch beiden auf dem Rücken davonfliegen.
    Er hört sich weinen, hofft, dass niemand ihn sieht, aber dann ist es ihm auch egal.
    Ich trage dich, Jake.
    Michel sieht ihn an.
    »Runter mit dem Rucksack, ab ins Wasser.«
    Dave begreift kaum, dass er den Lauf hinter sich hat. Er lässt den Rucksack vom Rücken gleiten und fühlt sich leicht, schwerelos, als er ins Wasser watet, es ist kalt auf seiner verschwitzten Haut, und er watet weiter, bis es ihm an die Brust reicht, und dann lässt er sich nach vorne fallen und schwimmt los.
    Das Wasser ist schwarz, und der Himmel ist schwarz, und es gibt keinen Horizont.
    Zum Boot schwimmen und wieder zurück.
    Denk nicht dran, dass du’s niemals schaffst.
    Ein Zug nach dem anderen.
    Links, rechts, links, rechts.
    Jake, Diana, Jake, Diana.
    Wenn er den rechten Arm hebt, tut es gar nicht so weh, aber

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