Vergiss mein nicht
kannte Sara von Kindesbeinen an.
» Die Kleine wird auch dabei sein?«, fragte Frank. Er meinte Lena.
» Natürlich«, antwortete Jeffrey und wich seinem Blick nicht aus. Frank runzelte die Stirn und gab dadurch zu verstehen, dass er das nicht guthieß.
Was auch immer Frank sein mochte– sexistisch, rassistisch, ganz gewiss aber altersstarrsinnig–, er machte sich große Sorgen um Lena. Er hatte eine Tochter in ungefähr demselben Alter. Von dem Augenblick an, als Jeffrey Lena zu Franks Partnerin gemacht hatte, hatte der alte Cop protestiert. Jede Woche war Frank erschienen und hatte darum gebeten, anders eingesetzt zu werden, und jede Woche hatte Jeffrey ihm geantwortet, er werde sich an die Situation gewöhnen müssen. Einer der Gründe, warum die Stadt mit Jeffrey einen Außenstehenden in das Amt berufen hatte, war die Absicht, die Polizeitruppe aus der Steinzeit in die Gegenwart zu holen. Jeffrey hatte Lena Adams höchstpersönlich an der Polizeiakademie ausgesucht und sie von Anfang an darauf getrimmt, der erste weibliche Detective der Truppe zu werden.
Im Moment wusste Jeffrey nicht so recht, wie er Lena einsetzen sollte. Er hatte sie für den Übergang zusammen mit Brad Stephens eingeteilt, bis ihre Hände richtig verheilt waren. Er hoffte, dass diese Art Auszeit es ihr erleichtern würde, langsam wieder in den normalen Job hineinzuwachsen. Frank konnte ihr noch nicht einmal ins Gesicht sehen, wenn sie ihn begrüßte. Jeffrey hatte Frank eine Million Mal sagen hören, dass Frauen bei der Polizeitruppe nichts zu suchen hatten, und der Angriff auf Lena war natürlich Wasser auf seine Mühlen.
Natürlich war Jeffrey nicht Franks Meinung. Weibliche Cops waren gut für die Mannschaft. Im Idealfall sollte die Zusammensetzung der Truppe die der Bevölkerung widerspiegeln. Lena hatte ein seltenes Einfühlungsvermögen mitgebracht, das der Arbeit sehr zuträglich war. Mit einer gewissen Tätergruppe konnte sie besser umgehen, und sie wusste auch, wie man weibliche Verbrechensopfer behandelte. Das genau hatte den ranghohen Männern gefehlt. Hinzu kam, dass die Existenz eines weiblichen Detective andere Frauen ermutigt hatte, ebenfalls zur Polizei zu gehen. Fünfzehn Frauen versahen inzwischen Streifendienst. Als Ben Walker in den Ruhestand ging, waren Sekretärinnen die einzigen Frauen im Dienst der Polizei gewesen. Doch trotz alledem– bei dem Gedanken daran, was sie alles hatte durchmachen müssen, hätte Jeffrey Lena am liebsten zu Hause eingesperrt und sich draußen mit einer Schrotflinte postiert, damit ihr niemand mehr etwas tun konnte.
Frank unterbrach seinen Gedankengang: » Wird es zu dieser Sache eine interne Untersuchung geben?« Er hielt inne und zupfte an einer Ecke der Akte. » Die Erschießung von Weaver, meine ich.«
Jeffrey nickte und lehnte sich zurück. » Ich habe heute Morgen mit dem Bürgermeister gesprochen. Ich möchte, dass Sie die Aussagen von Lena und Brad aufnehmen. Buddy Conford wird bei der Sache die Stadt vertreten.«
» Er ist doch Pflichtverteidiger«, wandte Frank ein.
» Tja, in diesem Fall eben nicht«, klärte Jeffrey ihn auf. » Man macht sich Gedanken wegen der Mutter des Mädchens. Aber die Stadt ist für Fälle wie diesen versichert. Und vielleicht kommt es ja auch zu einer außergerichtlichen Einigung. Hab keine Ahnung.« Jeffrey zuckte die Achseln. » Immerhin hat sie jemanden mit der Waffe bedroht. Aber es ist eben ziemlich heikel, verstehen Sie?«
» Ja«, antwortete Frank. » Ist mir klar.« Er wartete ein paar Sekunden und fragte dann: » Geht’s Ihnen denn so weit einigermaßen, Chief?«
Jeffrey spürte, wie seine Entschlossenheit zu bröckeln begann. Da war sie wieder, die Beklommenheit, die ihn am vergangenen Abend in Saras Gegenwart gepackt hatte. Er fühlte sich verloren, und das schnürte ihm die Brust ein. Er hatte noch nie jemanden erschossen, geschweige denn ein Kind. In Gedanken spielte er wieder und wieder die Szene mit Jenny durch, zerlegte sie in die kleinsten Einzelheiten, um den Moment zu finden, an dem die Verhandlungen einen falschen Verlauf genommen hatten. Bestimmt hätte er irgendetwas sagen oder tun können, woraufhin sie die Pistole aus der Hand gelegt hätte.
» Chief?«, sagte Frank. » Egal, was es bringt– Brad und Lena werden hundertprozentig zu Ihren Gunsten aussagen. Das wissen Sie doch, oder?«
» Ja«, antwortete Jeffrey. Franks Worte trösteten ihn nicht, weil er wusste, dass Brad und Lena auch hinter ihm stehen würden,
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