Vergiss nicht zu atmen
bei uns übernachtet, aber aus Rücksicht auf mich, und wahrscheinlich auch vor Erschöpfung, hatten sie nichts anderes getan, als zu schlafen. Er hatte geschnarcht, es klang wie ein Rhinozeros, das vor einem Güterzug davon rannte. Wenn ich nicht sowieso wach gelegen hätte, dann hätte mich das vom Schlafen abgehalten.
Ich hatte in meinem Bett gelegen, an die Decke gestarrt und seinem Schnarchen und Kellys sanften Atemzügen gelauscht und darüber nachgedacht, dass wenn auf es der Welt irgendwo Gerechtigkeit gäbe, ich diese Nacht in Dylans Bett verbracht hätte, und zwar definitiv nicht schlafend.
„Mein Schwager ist Anwalt für Strafrecht“, sagte Joel. „Ich kann nicht versprechen, ob er den Fall annehmen wird, aber es schadet nicht zu fragen. Er ist allerdings ziemlich teuer.“
Sherman meldete sich zu Wort. „Dylan hat Geld, oder sollte zumindest welches haben. Wenn nicht, springe ich dafür ein.“
Ich legte meinen Kopf zur Seite. „Das musst du nicht machen.“
Er lehnte sich vor und sagte: „Doch, das muss ich. Dylan steht mir näher als mein eigener Bruder. Ich würde meinen letzten Cent für ihn hergeben. Klar? Es hat keinen Sinn mit mir darüber zu streiten.“
Ich nickte und blinzelte die Tränen aus meinen Augen. Carrie legte ihre Hand auf die von Sherman und flüsterte ihm etwas zu. Ich weiß nicht was. Dann sagte sie etwas, das mich fast tot umfallen ließ. „Dabei kann ich auch helfen. Dad hat mir zu Beginn des Semesters vierzigtausend Doller geschenkt.“
Mir blieb der Mund offen stehen. Einmal, weil unser Vater ihr einfach so soviel Geld geschenkt hatte und zweitens, weil sie es hierfür einsetzen wollte.
„Dad wird einen Anfall bekommen“, sagte ich.
„Das wäre gut für ihn“, antwortete sie und ihre Augen tanzten dabei. „Ich muss heute Abend zurück fliegen, aber ich werde dir so viel Geld wie möglich zukommen lassen, bevor ich gehe. Wenn du es nicht brauchst, okay, dann überweise es einfach zurück.“
„Und ich werde dich zur Anhörung begleiten“, sagte Kelly. Joel nickte. „Wir werden alle mitkommen. Du bist doch auch dabei, oder Ray?“
Sherman nickte.
Ich wusste nicht, womit ich so gute Freunde verdient hatte.
Joel ging vor die Tür um seinen Schwager anzurufen.
Sherman sagte: „Alex, bevor wir uns jetzt alle trennen, müssen wir uns noch ein paar Minuten unterhalten, allein.“
Carrie und Kelly hoben beide neugierig ihre Augenbrauen.
„Okay“, sagte ich zögernd.
„Lass uns kurz spazieren gehen, es wird nicht lange dauern.“
Ich nickte, stand auf und meine Beine fühlten sich taub an. Worüber musste Sherman mit mir sprechen. Irgendetwas, das mit Dylan zu tun hatte, soviel war klar. Und das machte mir Angst. Große Angst. Und ich wusste noch nicht mal warum.
Draußen angekommen, entfernten wir uns etwa seinen halben Block von den Anderen, dann drehte er sich zu mir um, und lehnte sich an eine Wand.
„Hör zu“, sagte er. „Ich habe dir letzte Nacht gesagt… Dylan... er ist wie ein Bruder für mich.“
Ich nickte.
„Na ja… ich bin ein wenig besorgt. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar sehr besorgt. Darüber, wie er auf das Alles reagieren wird. Im Gefängnis gelandet zu sein, der Kampf, einfach alles.“
Ich biss mir auf die Lippe und starrte zu Boden. „Ich auch“, flüsterte ich.
„Der Kerl hat einen riesigen Hang dazu, sich zum Märtyrer zu machen. Du musst verstehen… Ich bezweifle, dass er dir die Details erzählt hat, zumindest nicht im korrekten zeitlichen Zusammenhang. Nachdem Ihr Euch getrennt habt und er auf seinen Laptop geschossen hat, wurde der Dienstplan für unsere Truppe als Teil der Bestrafung geändert und wir wurden auf Patrouille geschickt.“
Ich nickte. „Ich weiß.“
„Das war die Patrouille, bei der sie von der Straßenbombe getroffen wurden, Alex. Bei der Roberts starb.“
Ich schüttelte verwirrt den Kopf. „Er hat mir gesagt, das war erst einige Tage später.“
Sherman schüttelte traurig den Kopf. „Nein. Jetzt hör mir zu Alex… Niemand machte ihm Vorwürfe. Niemand hat je gesagt, es wäre seine Schuld gewesen. So etwas hätte jederzeit passieren können. Wir wurden ständig beschossen. Aber Dylan macht sich Vorwürfe. Wir haben viele E-Mails hin und her geschickt, während er im Krankenhaus war. Ich habe versucht ihm klarzumachen, dass es nicht seine Schuld war, aber… na ja… Schuldgefühle sind eine üble Sache. Und er ist überzeugt davon, dass Roberts noch am Leben wäre,
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