Verheißene Erde
sie zurück in ihre Bantustan, die die meisten von ihnen nie gesehen haben.«
Als Philip auf dieses makabre Märchen von der Stadt eingehen wollte, die doppelt so groß war wie Boston und die es nicht gab, grinste Nxumalo und stieß ihn mit dem Finger an: »Ich wette, Sie haben die wichtigste Tatsache bei diesem Exodus auf der Bahnstation nicht bemerkt.«
»Eigentlich doch. Ich sah, daß sich in der Menschenmenge alle Arten von Arbeitern, vom Straßenkehrer bis zum Collegeprofessor, befanden.« Nxumalo lachte. »Prüfung nicht bestanden. Bezeichnend ist, daß fast jeder irgendein Paket trug. Weil Soweto nicht existiert, verstehen Sie, und weil es nur als vorübergehend, kurzlebig betrachtet wird. Nun, was folgt daraus? Es gibt dort keine Geschäfte. Das heißt, keine wirklichen. Sie sind nicht erlaubt, weil sie nicht in den Plan der Weißen passen. Alles, ausgenommen ein paar unbedeutende Gebrauchsgegenstände, muß in Johannesburger Geschäften gekauft werden, die Weißen gehören. Soweto ist keine Stadt. Es ist ein Schlafsaal.«
»Du meine Güte!« rief Saltwood plötzlich. »Sehen Sie sich die vielen Kirchen an. Ich habe noch von keiner von ihnen gehört.« An vielen Stellen in Gebieten, in denen es nichts als aufeinanderfolgende Reihen von einheitlich trostlosen Blockhäusern gab, hing an einer Fahnenstange ein zerrissenes Schild mit dem Hinweis, daß dieses Gebäude die Kirche von Zion oder die Kirche des Heiligen Willens oder die Xangu-Kirche oder einfach das Haus eines heiligen Mannes war, der direkten Kontakt mit Gott hatte. »Nach der Bierhalle ist das das einträglichste Geschäft in Soweto«, erklärte Nxumalo. »Es gibt etwa viertausend verschiedene Kirchen, die Gott weiß was predigen.« Inzwischen standen sie vor einem riesigen, von einem Drahtzaun umgebenen primitiven Schuppen, in dem Hunderte von Arbeitern an langen, leeren Tischen saßen und schwaches Kaffernbier tranken. Das Wort »Kaffer« war jetzt offiziell verboten, und wenn ein Weißer einen Schwarzen so titulierte, konnte er wegen Beleidigung angeklagt werden, aber für das Bier wurde der Name weiter gebraucht. Es war ein greuliches Gesöff, stark genug, um teuer zu sein, schwach genug, um zu verhindern, daß ein Mann gefährlich betrunken wurde.
»Die Bierhalle ist die stärkste antirevolutionäre Kraft in Afrika«, erklärte Nxumalo. Während er noch sprach, fegte eine Macht ganz anderer Art vorüber: Eine Bande tsotsies eilte zu einem Treffen, das zu Diebstahl oder Vergewaltigung oder einem der tausend alljährlichen Morde führen mochte, von denen fünfzig Prozent unaufgeklärt blieben, weil die Opfer schwarz waren.
Nun führte Nxumalo Saltwood zu einem kleinen dunklen Haus, dem eigentlichen Ziel ihres Besuchs. In der Küche, deren Fenster verhängt waren, saßen neun Männer in einer Art von Kreis, in dessen Mitte Philip geführt wurde: »Das ist mein Freund Philip Saltwood, der amerikanische Geologe, der von seinen Arbeitern am Swartstroom sehr geschätzt wird. Er will seine Bildung vervollkommnen.« Die Männer begrüßten ihn kurz, dann wandten sie sich an Nxumalo und begannen, ihm Fragen zu stellen. »Was hörst du von Jonathan?« fragte einer, und Philip hatte keine Ahnung, wer Jonathan sein mochte. »Nichts.«
»Gar keine Nachrichten aus Mo 9 ambique?«
»Von hier erfahren wir nur, daß die Grenzpatrouillen jede Woche in Mo 9 ambique eindringen. Sie müssen Schaden anrichten.«
»Lebt dein Bruder noch?«
»Ich höre nichts von Jonathan.«
Philip hatte den Eindruck, daß Nxumalo sich vorsichtig ausdrückte, vielleicht weil er in Gegenwart eines weißen
Zeugen nichts sagen wollte, was ihn belasten konnte. Die Männer erörterten die Lage an allen anderen Grenzen, wo sich offenbar Männer aus Soweto unter den Rebellen befanden, und in keinem Abschnitt der ausgedehnten Grenze schienen ihre Leute Erfolg zu haben. Aber als Philip analysierte, was tatsächlich gesagt worden war, wurde ihm klar, daß diese Männer zumindest in Worten keine Revolutionäre waren; sie besprachen einfach Vorgänge an der Grenze, genau wie die Weißen in Vrymeer diese Dinge verfolgten, aber von einem ganz anderen Standpunkt aus.
Das Gespräch beschäftigte sich mit vielen Themen und wurde sehr offen geführt. Die Männer waren Lehrer, ein Geistlicher, verschiedene Geschäftsleute, und sie machten sich Sorgen über die Richtung, die ihr Volk einschlug. Sie waren sehr beunruhigt wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Amerika und fragten
Weitere Kostenlose Bücher