Verheißene Erde
litt sie mit ihm:
Ich bin ein schwacher, kind’scher alter Mann,
Achtzig und drüber: keine Stunde mehr Noch weniger, und grad heraus,
Ich fürchte fast, ich bin nicht recht bei Sinnen.
Drei Tage später lieh sie sich, noch immer gefangen von diesen Worten, Lady Ellens Austin aus und fuhr allein nach Cambridge, wo sie als Zwanzigjährige mit ihrem älteren Bruder Wexton so schöne Stunden verbracht hatte.
Sie stellte ihren Wagen auf dem städtischen Parkplatz ab und ging durch die King’s Parade. Dabei ließ sie die edle Kapelle des King’s College unbeachtet, denn sie wollte den strengen Eingang des Clares College wiedersehen, das ihr Bruder besucht hatte. Sie ging wie im Traum und betrat die alte Umgebung, in der seit 1326 Studenten wohnten, stand lange dort und dachte wehmütig an die Frühlingstage, an denen sie Wexton hier besucht hatte. Sie schüttelte den Kopf bei der traurigen Erinnerung und verließ Clare’s, wo der Bruder eine so glänzende Ausbildung genossen hatte: Du warst ein hochbegabter Junge, Wexton. O Gott, wie du mir fehlst! Ziellos ging sie nun nach Süden, bis sie zum Pförtnerhaus des King’s College kam, und trat, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, in den imposanten Hof, in dem Wexton den Versuchungen begegnet war, denen er nicht widerstehen konnte. Sie wollte ihn schnell durchqueren, um die Backs zu sehen, wo sie und die Freunde ihres Bruders so viele vergnügte Stunden verbracht hatten, lenkte jedoch ihre Schritte nach rechts zu der herrlichsten in sich geschlossenen Kapelle Englands, der King’s Chapel, mit ihren prächtigen hohen Bögen und dem reichverzierten Chor. Er war, seit sie ihn zum letztenmal gesehen hatte, etwas verdorben worden, denn man hatte eines der besten Bilder dort aufgehängt, das Peter Paul Rubens je gemalt hatte, eine »Anbetung der Könige«, die, in welcher Währung auch immer, Millionen wert war. Verdammt, es ist ein schönes Bild, vielleicht das beste, das er geschaffen hat. Aber es paßt nicht hierher.
Sie setzte sich in einen der Chorstühle und dachte an die längst vergangenen Tage, als sie und Wexton mit seinen Freunden hierhergekommen waren, um den Abendgottesdienst zu hören: Diese verdammten Freunde! Ach, Wexton, das ganze Leben schwindet dahin, es schwindet trostlos dahin, aber warum hast du.?
Tränen traten ihr in die Augen, und sie weinte ein wenig. Sie drückte die Finger an ihre Wangen, wischte die Tränen ab, verließ die Kapelle und ging langsam über einen der schönsten Plätze Englands und vielleicht Europas, die weite Rasenfläche, die von den Mauern Clare’s, der Kapelle und des King’s College umgeben ist. Die Gebäude paßten wunderbar zueinander, aber es war der weite Raum bis hinunter zum Cam und die Backs dahinter, die dem Platz seine Würde verliehen. Dort hatte sie an einem Abend während der Mays - diese Woche des Leichtsinns, die in den Junianfang fällt - im Gras gesessen, als Noel Saltwood vom Oriel College in Oxford in einem Boot mit Cambridger Freunden vorbeifuhr. Sie hatten einander kennengelernt, sich verliebt und hatten eine Ehe geschlossen, die sie kein einziges Mal bereut hatte. Das Leben in Noels Südafrika war ziemlich primitiv gewesen und es gab wenig interessante Konversation, aber er redete ihr oft zu, wieder nach Salisbury zu fahren, von dort aus die Londoner
Theater zu besuchen und gelegentlich Ausflüge nach Cambridge zu unternehmen, und das hatte sie aufrechterhalten.
»Ach, Wexton, warum, um Himmels willen, hast du es getan?«
»Verzeihen Sie, Madam, haben Sie gerufen?« Es war ein kleiner Mann, der einen ziemlich langen Mantel trug, obwohl es ein eher warmer Tag war, ein Aufseher, wie man sie überall treffen konnte.
»Nein, nein, ich dachte nur über etwas nach.« Der Mann kam näher, um sich zu vergewissern, daß ihr nichts fehlte, dann ging er weiter. Als er fort war, erkannte sie: Ich habe tatsächlich nachgedacht. An vergangene Zeiten und an Abende auf diesem Rasen, als ich Noel und seine gute, natürliche Einstellung zum Leben kennenlernte. Er hörte wie ein Dummkopf vom Land allem zu, was Wexton und seine gescheiten Freunde und der hervorragende junge Studienleiter so zungenfertig vorbrachten. Und als er mich zu meiner Bude zurückbegleitete, sagte er unverblümt: »Ich glaube, Ihr Bruder und seine Kameraden spinnen.«
»Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten?«
»Die Art, wie er alles lächerlich macht. Hören Sie ihm denn nie zu?« So hörte sie unter Noels Anleitung zu,
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