Verheißene Erde
werden sich sehr häßliche Dinge abspielen. Sie liegen außerhalb unseres Einflußbereichs - außerhalb des Einflußbereichs aller vernünftigen Menschen. Wenn es für euch eine Möglichkeit gäbe, sie abzuwenden, würde ich wünschen, daß ihr bleibt. Ich werde es tun.«
»Wir können dich doch nicht hier zurücklassen, Mutter«, gab Craigs Frau zu bedenken.
»Ich bin entbehrlich. Ihr nicht. Ich habe mein Leben gelebt, ihr nicht - und es wäre verrückt, es in dieser ungesunden Atmosphäre verbringen zu wollen.«
»Was versetzt dich in solche Aufregung?«
»Ich war bei einer Aufführung von >König Lear< in Stonehenge. Ich hörte majestätische Worte. Und ich wage nicht länger, meine Augen vor den Tatsachen zu verschließen.«
»Mutter, was du sagst, ergibt keinen Sinn.«
»Du brauchst sonst nichts zu wissen, Craig, als daß es nach dem ersten Juni für keinen Saltwood ratsam sein wird, in Südafrika zu leben.«
»Was geschieht am ersten Juni?«
»Ich gehe zum Bowling. Zum Bowling nach Kapstadt im Lady Anne Barnard Club, und ich möchte, daß ihr daheim in Salisbury in Sicherheit seid.« Mehr wollte sie nicht sagen. Sie kaufte vier Flugtickets für die South African Airways: »Sie haben die besten Flugzeuge, weißt du, und auch die besten Piloten.« Und sie verbrachte viele Stunden in Johannesburg in den Büros der »Schwarzen Schärpe«, führte Gespräche mit den Damen, die sich bemühten, die durch die Apartheid verursachten Härten zu mildern. Sie sandte auch vier Eilbriefe an Sir Martin Saltwood in Sentinels, erklärte ihm, warum es notwendig war, Timothy nach England zu schicken, und bat ihn, sich um den Jungen zu kümmern. Schließlich schrieb sie dem Direktor einer Mittelschule für Schwarze in Transvaal, dem sie versicherte, sie würde in seiner Schule einen Vortrag halten, wie er gewünscht hatte. Danach verbrachte sie ihre freie Zeit über den Sonetten Shakespeares, bis einige dieser unerreichten Verse sich in ihrem Kopf zu einem neuen Sonett verbanden:
Wenn ich in schweigender Gedanken Rat Mein ausgestoß’nes Dasein still bewein’,
Verfall’nen Chören gleich, wo einst die Vögel sangen,
Die Ros’ ist dornig, Schlamm trübt silberhelle Quellen,
Wie Wellen an des Ufers Kieseln bersten,
Wenn nur ein wenig gelbes Laub noch hängt,
Nicht eigne Sorgen, kein prophetisch Denken Des weiten Erdballs, der von Zukunft träumt.
Zeitweise überwältigte sie die einfache Schönheit dieser Worte, und sie wußte, daß Menschen für viele gute und edle Dinge ihr Leben hingeben. Sie wollte von nun an das ihre der Erhaltung der Wörter weihen.
Als man in Vrymeer erfuhr, daß Craig Saltwood und seine Familie das Land verlassen wollten, erschraken die van Doorns, denn der Weggang dieses talentierten Mannes bedeutete einen weiteren Verlust für Südafrika. »Craig muß verrückt geworden sein«, schimpfte Marius. »Er hat hier einen sicheren Posten und gute Aussichten.«
»Und einen klaren Blick auf den vor ihm liegenden Weg«, stimmte seine Frau zu.
Philip Saltwood kam vorbei, um Sannie zu besuchen, aber sie war mit den jungen Troxels ausgegangen, und Marius stellte ihm die Frage: »Würden Sie sich heute aus Südafrika verscheuchen lassen?«
»Ich würde lieber bleiben. Aber ich liebe nun einmal Krisensituationen.«
»Damit deuten Sie an, daß Sie vielleicht fortgehen würden, wenn Sie Craig wären.«
»Vermutlich. Ich bezweifle, daß ein Nichtafrikander hier eine Zukunft hat. Ich würde wahrscheinlich dorthin gehen, wo ich erwünscht bin.«
»Ihr verdammten Ausländer«, brummte Marius.
»Ich bleibe hier«, sagte seine sehr englische Frau. »Aber ich habe ja auch alles, was mein Leben ausmacht, hier. Sannie und alles übrige.«
»Willst du damit andeuten, daß du an Craigs Stelle auch alles zusammenpacken und davonlaufen würdest?« fragte ihr Mann. »Ja, und zwar aus den Gründen, die Philip soeben angeführt hat. Es ist nicht angenehm, Marius, dort zu leben, wo man unerwünscht ist.«
»Unsinn. Alle meine Freunde mögen dich.«
»Und die Hälfte unserer jüdischen Bekannten haben ihre Kinder ins Ausland geschickt. Und die kommen nie mehr zurück. Wir kennen auch viele Engländer, die das gleiche tun.«
Marius nahm Zuflucht zu einem philosophischen Standpunkt: »Jeder Organismus sollte sich dann und wann selbst reinigen. Die Köpfe, die wir verlieren, werden wir durch Einheimische ersetzen.«
»Wenn ihr Afrikander aber spekulatives Denken ablehnt, weil es zu Radikalismus ausarten
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