Verheißung des Glücks
gezogen.
Abermals wurde Melissa rot, diesmal sogar puterrot. Das war Lincoln Antwort genug. Mehr von ihr zu verlangen, würde gegen jede Etikette verstoßen. Daher wechselte er das Thema.
»Ich habe Ihren Vater noch gar nicht hier gesehen. Sind Ihre Eltern denn nicht mit nach London gekommen?«
»Wir erwarten sie erst im nächsten Monat«, antwortete Melissa. »Dad mag London nicht besonders. Schon eine Woche in der Stadt bringt ihn fast um.«
»Ja, ich erinnere mich an etwas, das er während unserer kurzen Unterhaltung sagte. Menschenmengen schätzt er nicht besonders«, sagte Lincoln. Dann fügte er hinzu: »Meine Familie bleibt die ganze Saison über hier. Ich bin der offizielle Begleiter meiner Kusine, die vor ein paar Wochen ihr Debüt hatte. Sie möchte gerne bald heiraten.«
»Es scheint, als kämen die meisten jungen Leute aus diesem Grund hierher.«
Er lächelte sie an. »Ja, nicht wahr? Für meine Kusine Edith wird das allerdings nicht so einfach werden. Sie ist keine Frau, nach der die Männer sich die Hälse verrenken. Dabei ist sie ungeheuer liebenswert. Sie hat ein Herz aus Gold. Der Mann, der sie einmal zum Traualtar führt, ist zu beneiden.«
»Sie mögen Ihre Kusine offenbar sehr.«
»Das ist unbestritten.«
Seine Zuneigung zu Edith trübte Lincolns Blick nicht. Seine Kusine war und blieb nun einmal ein Mauerblümchen. Kaum ein Mann beachtete sie, wenn man sie ihm nicht direkt unter die Nase schob. Man musste sie erst ein wenig kennen, um ihre wahren Vorzüge zu entdecken. Bisher hatte sich noch kein ernsthaft interessierter Verehrer für sie gefunden.
»Ist Ihre Familie heute auch hier?« »Ja.«
»Ich würde sie gerne kennen lernen.«
»Aber selbstverständlich. Nur glaube ich, Sie müssen mich zuerst Ihrer Megan vorstellen, bevor ich Sie zu meiner Verwandtschaft schleppen darf.«
Melissa kicherte. »Das klingt, als hielten Sie die Duchess für eine Art männermordendes Ungeheuer. Ich glaube, Sie werden positiv überrascht sein.«
Da der Tanz gerade endete, war der Zeitpunkt gekommen, wo Lincoln sich selbst vergewissern konnte. Lieber hätte er Melissa ganz für sich allein gehabt, den ganzen Abend und danach die Nacht nur zusammen mit ihr verbracht. Aber das verbot sich natürlich von selbst. Melissa hingegen schien mit den Gepflogenheiten der höchsten Gesellschaftskreise nicht besonders vertraut. Sie nahm Lincoln an der Hand und zog ihn kurzerhand quer durch den Raum zu ihrer Gastgeberin.
Verwandte konnten das ohne weiteres tun. Auch Verlobten war es erlaubt, einander an den Händen zu halten. Aber zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft kam das einem mittleren Skandal gleich.
Dass Lincoln positiv überrascht sein würde, war die Untertreibung des Monats. Megan St. James, die Duchess von Wrothston, konnte kaum zehn Jahre älter sein als er selbst und sie war eine atemberaubend schöne Frau. Kaum fiel Lincolns Name, schon schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln und lud ihn in ihr Haus ein.
»Haben Sie Melissa endlich gefunden!«, war das Erste, was sie sagte. »Ich werde meinem Butler mitteilen, dass wir von nun an mit Ihren Besuchen rechnen. Wie wäre es denn gleich morgen zum Tee?«
Das Verhör blieb aus. Es gab nur ein paar harmlose Fragen, die sich im Rahmen dessen bewegten, was bei einem ersten Zusammentreffen üblich war. Lincoln musste Melissa nicht zu seiner Familie führen. Die Damen kamen zu ihnen, bevor Melissas nächster Tanzpartner sie entführen konnte.
Erst stellte Lincoln ihr seine Tante und seine Kusine vor und danach, fast als fiele ihm erst jetzt ein, dass sich das gehörte, auch seine Mutter, Eleanor Ross. Melissas fragenden Blick, der ihn deshalb streifte, bemerkte er nicht. Doch er ärgerte sich über die Steifheit, die ihn in Eleanors Gegenwart stets wie eine Krankheit befiel. Gewiss. Er musste zugeben, dass er nur dank ihrer Hilfe Zugang zu den Kreisen gefunden hatte, in denen Melissa verkehrte, aber das änderte nichts an seinen Gefühlen für die Frau, die ihn verstoßen hatte.
Lincolns Tante war natürlich hocherfreut, endlich Melissas Bekanntschaft zu machen, und hätte sicher endlos weiter geplaudert, wenn nicht der junge Mann, dem Melissas nächster Tanz gehörte, sichtlich ungeduldig neben ihr gestanden hätte. Er wollte allzu gerne wenigstens ein paar Drehungen mit ihr aufs Parkett legen, bevor die Musik wieder aufhörte zu spielen. Edith wusste vor Verlegenheit nicht ein noch aus. Mit hochrotem Kopf stand sie neben Justin, dem
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