Vermächtnis
gab.
Ein tieferliegendes Ziel, das häufig im Zusammenhang mit der traditionellen Kriegsführung genannt wird, ist die Inbesitznahme von Land oder anderer knapper Ressourcen wie Fischgründe, Salzquellen, Steinbrüche oder Arbeitskräfte. Sieht man von unwirtlichen, instabilen Lebensräumen einmal ab, in denen die Bedingungen für eine zeitweise oder dauerhaft kleine Bevölkerung sorgen, nimmt die Größe der Menschengruppen, die das Land und seine Ressourcen nutzen, in der Regel zu; irgendwann ist dann eine weitere Steigerung nur noch auf Kosten anderer Gruppen möglich. Gesellschaften ziehen also in den Krieg, um Land oder Ressourcen, die anderen Gruppen gehören, in Besitz zu nehmen, oder um ihr eigenes Land und ihre Ressourcen gegen die Eroberung durch solche Gruppen zu verteidigen. Von Staatsregierungen, die zum Erwerb von Land und Arbeitskräften in den Krieg ziehen, wird dieses Motiv häufig ausdrücklich genannt. Die »Lebensraumpolitik« der Nationalsozialisten ist dafür ein Beispiel.
Die umfassendste Überprüfung der Theorie, wonach Land- und Ressourcenknappheit zum Krieg führen, unternahmen Carol und Melvin Ember anhand einer kulturübergreifenden Stichprobe von 186 Gesellschaften. Aus ethnographischen Informationen über diese Gesellschaften, die in den Human Relations Area Files (einer großen kulturübergreifenden Untersuchung) zusammengefasst sind, entwickelten Ember und Ember Maßstäbe für mehrere Ursachen der Ressourcenknappheit: die Häufigkeit von Hungersnöten, von Naturkatastrophen wie Dürre oder Frost und von Lebensmittelknappheit. Wie sich herausstellte, waren diese Maßstäbe die stichhaltigsten Vorhersagefaktoren für die Häufigkeit von Kriegen. Nach der Interpretation der Autoren bedeutet das, dass Menschen in den Krieg ziehen, um Ressourcen (insbesondere Land) ihrer Feinde in Besitz zu nehmen und sich damit selbst gegen eine unberechenbare zukünftige Ressourcenknappheit zu wappnen.
Eine solche Deutung ist zwar plausibel, sie funktioniert aber nicht so eindeutig, dass alle Wissenschaftler sie anerkennen würden. Manche traditionellen Kriege enden zwar tatsächlich damit, dass die Verlierer flüchten und die Sieger deren Land besetzen, in manchen Fällen bleibt das verlassene Land aber auch eine gewisse Zeitlang unbesetzt. Traditionelle Kriege sind auch in dichter bevölkerten Regionen nicht generell heftiger, denn manche Lebensräume und Methoden des Nahrungserwerbs reichen ohne weiteres zur Ernährung einer viel dichteren Bevölkerung als andere. So empfinden beispielsweise Jäger und Sammler, die in einer Dichte von fünf Menschen pro Quadratkilometer in einer Wüste leben, unter Umständen eine viel stärkere Ressourcenknappheit und einen stärkeren Expansionsdruck als Bauern, die mit 100 Personen je Quadratkilometer auf fruchtbarem, warmem, gut bewässertem Ackerland wohnen. Was zählt, ist also nicht die Bevölkerungsdichte als solche, sondern die Bevölkerungsdichte im Verhältnis zur Dichte der Ressourcen, denn dieses Verhältnis hat eine tatsächliche oder potentielle Ressourcenknappheit zur Folge. Vergleicht man aber traditionelle Völker, die ihren Nahrungserwerb auf ähnliche Weise betreiben und in ähnlichen Lebensräumen mit ähnlichen Ressourcen zu Hause sind, nimmt die Häufigkeit von Kriegen tatsächlich mit der Bevölkerungsdichte zu.
Weiterhin wurden auch soziale Faktoren als letzte Gründe zur Erklärung der traditionellen Kriegsführung genannt. Menschen ziehen in den Krieg, um lästige Nachbarn auf Distanz zu halten, um die Nachbarn ganz loszuwerden oder um sich einen Ruf als kriegslüsternes Volk zu erwerben und damit auch jene Nachbarn von Angriffen abzuhalten, die eine Gruppe ohne weiteres überfallen würden, wenn diese in dem Ruf stünde, sich nicht zu verteidigen. Eine solche soziale Interpretation ist mit der zuvor beschriebenen Theorie, die von Land und Ressourcen handelt, nicht unvereinbar: Dass man die Nachbarn auf Distanz halten möchte, liegt letztlich vielleicht daran, dass man selbst die sichere Kontrolle über Land und Ressourcen behalten will. Dennoch lohnt es sich, gesellschaftliche Überlegungen als eigenständigen, von den Ressourcen getrennten Faktor zu behandeln, denn das Bestreben, Distanz von den Nachbarn zu halten, gibt unter Umständen den Anlass zu weit extremeren Aktionen, als sie allein zur Sicherung der Ressourcen notwendig wären.
Ein gutes Beispiel ist Finnland: Dort konzentrierte sich die Bevölkerung bis vor ungefähr 500
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