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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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seinem Stuhl Platz zu machen, wie das rhythmische Pulsieren einer Qualle, wie ein Schirm, der langsam aufgespannt wird. Enttäuscht reihte er sich ein. Sandy war nicht da.
    »Wie Sie sehen, ist Sandy heute leider nicht bei uns«, bestätigte die freundliche Frau seine Enttäuschung.
    »Ja, das sehe ich«, antwortete er und biss die Zähne zusammen. Sofort stellte sich der vertraute Schmerz ein.
    »Ich bin Tracey«, stellte die Frau sich vor.
    »Hallo.« Nervös erwiderte er die prüfenden Blicke der anderen, die jede seiner ungeschickten Bewegungen zu taxieren schienen. »Ich bin Jack.«
    »Hallo, Jack«, erwiderten alle im Chor, und er stutzte. Die Stimmen klangen seltsam, ein bisschen wie hypnotisiert. Dann trat ein langes Schweigen ein, und Jack rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, plötzlich unsicher, was er hier eigentlich zu suchen hatte.
    »Jack, wäre es Ihnen lieber, wenn diese Woche die anderen den Anfang machen und Sie uns dann nächste Woche Ihre Geschichte erzählen?«
    Was für eine Geschichte? Er blickte in die Runde. Ein paar der Anwesenden hatten Blocks und Stifte auf dem Schoß, und auf der Tafel standen in einem Kreis die Worte
Schriftliche Aufgabe
. Von dem Kreis zweigten andere Worte ab: Gefühle, Gedanken, Sorgen, Ideen, Sprache, Ausdruck, Ton und noch viele andere, so viele, dass er gar nicht alle aufnehmen konnte und zu den Schluss kam, dass er sich allem Anschein nach in einen Kurs für kreatives Schreiben verirrt hatte.
    »Ja«, antwortete er erleichtert. »Ich möchte mir gern zuerst die anderen anhören.«
    »Okay, Richard, dann können Sie anfangen und uns sagen, was Sie diesen Monat für uns haben.«
    »Hier, das ist vielleicht ganz hilfreich«, flüsterte eine Frau neben Jack und drückte ihm eine kleine Broschüre in die Hand.
    »Danke«, flüsterte er zurück, legte das Heftchen auf seinen Schoß und beschloss, es zu lesen, sobald er die erste Geschichte gehört hatte. Richard trug eine ziemlich absurde Erzählung vor, in der es um einen extrem unsympathischen Mann ging, der furchtbare Angst hatte, von seinen heftigen Impulsen überwältigt zu werden, sowie um einen weiteren, genauso unangenehmen Typen mit einem fast ins Lächerliche übersteigerten Verantwortungsgefühl. Er hatte solche Panik davor, jemanden zu überfahren, dass er sich nicht mehr ans Steuer seines Autos setzen wollte. Ein paar Mal konnte sich Jack ein Kopfschütteln nicht verkneifen und lachte laut auf, weil er fand, dass die Geschichte reichlich absurd klang und immer mehr an eine schwarze Komödie erinnerte. Nach einer Weile merkte er allerdings, dass ihm das von der Gruppe strafende Blicke einbrachte, und verkniff sich von da an jede spontane Reaktion.
    Die Minuten zogen sich wie Stunden, und Richard fand kein Ende. Jedes Wort dröhnte doppelt in Jacks Ohren, die sich schon beim ersten Mal gelangweilt hatten. Als die Erzählung immer mehr in die depressive Richtung ging und der Typ aufgrund seines absonderlichen Verhaltens auch noch Frau und Kinder verlor, schaltete Jack schließlich ab und begann die Broschüre zu lesen, die schon etwas zerknittert unter seinen feuchtkalten Händen ruhte.
    Doch dann sah er das Cover des Heftchens und erstarrte. Er wurde knallrot bis unter die rotblonden Haarwurzeln und der Schweiß brach ihm aus, denn da stand:
Willkommen in der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Zwangsstörungen
.
     
    Den Rest des Meetings über saß Jack ganz still da. Es war ihm peinlich, hier zu sein, und er schämte sich zutiefst, dass er über Richards Geschichte gelacht hatte. Als die Sitzung endlich vorüber war, versteckte er sich zwischen den anderen und wollte sich mit gesenktem Kopf so rasch wie möglich verdrücken.
    »Jack!«, rief Tracey, und er blieb stehen. Die anderen verließen zögernd ihr monatliches Sicherheitsnetz, um sich wieder allein der Welt und ihren Dämonen zu stellen. Als Jack ihnen nachsah, entdeckte er Dr. Burton, der mit verschränkten Armen und wütendem Gesicht vor der Tür wartete. Unwillkürlich wich er ein paar Schritte zurück.
    Aber Tracey kam unbeirrt auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Danke nochmal, dass Sie heute bei uns waren«, sagte sie lächelnd. »Wissen Sie, das ist der erste Schritt zum Gesundwerden. Sicher, der Weg ist steinig und schwer, aber wir sind alle da, um Sie zu unterstützen.« Jack hörte Dr. Burton lauthals lachen. »Das Zwölfschritteprogramm, das wir vorhin erwähnt haben, stammt ursprünglich von den Anonymen

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