Vermiss mein nicht
klarzustellen, dass er ein psychisch kerngesunder Mensch war und ihm der Besuch beim Therapeuten nur als Tarnung diente.
Das Zimmer war ohne einen bestimmten Stil eingerichtet, aber an dem vollgestopften Bücherregal, dem bepackten Schreibtisch, der Reihe von Aktenschränken und den akademischen Auszeichnungen an der Wand sah man, dass hier ernsthaft gearbeitet wurde.
Verschiedene Teppiche, ein Sessel und eine Couch vervollständigten das Bild. Der Raum hatte Charakter und passte zu dem Mann, der jetzt vor Jack saß und sich Notizen machte.
»Nun, Jack«, sagte Dr. Burton, nachdem er das Formular ausgefüllt hatte, schlug die Beine übereinander und wandte Jack seine volle Aufmerksamkeit zu. Der wäre am liebsten weggelaufen. »Was führt Sie denn heute zu mir?«
Weil ich Sandy Shortt finden will, hätte er gern geantwortet, aber stattdessen zuckte er nur mit den Schultern und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Er wollte die Sache möglichst schnell hinter sich bringen, aber wie um alles in der Welt konnte er seine Lügengeschichten so formulieren, dass er dabei tatsächlich etwas über Sandy Shortt erfuhr? Vielleicht hatte er seinen Plan zu sehr auf die Hoffnung gegründet, es würde sich alles ergeben, wenn er erst mal in Dr. Burtons Praxis saß. Was sagten die Leute in Filmen immer, wenn sie gefragt werden, was sie zum Psychologen führte? Denk nach, Jack, denk nach. »Ich stehe total unter Stress«, antwortete er schließlich, und vor lauter Freude, dass es ihm eingefallen war, klang er viel zu selbstbewusst.
»Was für eine Art von Stress?«
Was für eine Art von Stress? Gab es denn mehr als eine? »Ganz normaler Stress«, erklärte er achselzuckend.
Dr. Burton runzelte die Stirn, und Jack fürchtete schon, er hätte etwas Falsches gesagt. »Kommt der Stress von der Arbeit, oder …?«
»O ja«, fiel Jack ihm ins Wort. »Der Stress kommt von der Arbeit. Die ist echt …« Er suchte verzweifelt nach dem richtigen Wort und beendete den Satz etwas lahm mit: »… echt stressig.«
»Aha«, meinte Dr. Burton und nickte. »Was machen Sie denn?«
»Ich bin Schauermann bei der Shannon Foynes Port Company.«
»Und warum sind Sie heute in Dublin?«
»Ihretwegen.«
»Sie haben den ganzen weiten Weg meinetwegen gemacht?«
»Ich hab hier auch einen Freund besucht«, warf Jack schnell ein.
»Oh, okay«, lächelte Dr. Burton. »Was ist es denn, was Sie an Ihrer Arbeit so stresst? Erzählen Sie mir doch ein bisschen davon.«
»Äh, vor allem die Arbeitszeiten.« Jack versuchte ein überzeugend gestresstes Gesicht aufzusetzen. »Ich muss ständig Überstunden machen.« Dann schwieg er, faltete die Hände im Schoß, nickte und mied Dr. Burtons Blick.
»Wie viele Stunden arbeiten Sie denn pro Woche?«
»Vierzig«, antwortete Jack, ohne nachzudenken.
»Aber vierzig Stunden sind doch normal, Jack. Warum haben Sie das Gefühl, dass Ihnen das zu viel ist?«
Jack wurde rot.
»Es ist okay, wenn Sie es so empfinden, Jack. Vielleicht gibt es ja einen guten Grund, weshalb Ihre Arbeit Sie so stresst – wenn es denn tatsächlich die Arbeit ist …« Dr. Burton redete weiter, aber Jack schaltete ab und sah sich im Raum um, ob er irgendwo Spuren von Sandy entdeckte – als könnte sie vielleicht ihren Namen auf die Wand gekritzelt haben, bevor sie verschwunden war. Dann merkte er auf einmal, dass Dr. Burton ihn schweigend musterte.
»Ja, ich glaube, das ist es«, nickte Jack, sah auf seine Hände hinunter und hoffte, dass seine Antwort irgendwie gepasst hatte.
»Und wie heißt sie?«
»Wie heißt wer?«
»Ihre Partnerin, die Person zu Hause, mit der Sie Schwierigkeiten haben?«
»Oh. Gloria«, sagte er und dachte daran, wie sie sich gefreut hatte, dass er endlich einem Profi das Herz ausschütten wollte. Dabei hörte er in Wirklichkeit nicht mal zu. Je mehr er darüber nachdachte, desto wütender wurde er innerlich.
»Haben Sie ihr von Ihren Gefühlen erzählt, von dem ganzen Druck, unter dem Sie stehen?«
»O nein!«, lachte Jack. »Über so was rede ich nicht mit Gloria.«
»Warum nicht?«
»Weil sie immer eine Antwort parat hat und immer genau weiß, was ich anders machen sollte.«
»Und das wollen Sie nicht?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Mit mir ist alles in Ordnung, ich muss nichts anders machen.«
»Wer sollte denn etwas anders machen?«
Jack zuckte die Achseln. Auf diese Diskussion hatte er ganz und gar keine Lust.
Dr. Burton ließ die Frage in der Luft hängen, aber
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