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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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machen einen Spaziergang«, sagte Harry. »Wir müssen gleich zur Arbeit.«
    »Personalausweise.«
    Harry gab ihm unsere eigenen alten Ausweise.
    Nach einer Weile gab er sie zurück. »Seht zu, dass ihr in zehn Minuten bei der Arbeit seid.«
    Sobald er außer Sichtweite war, gingen wir weiter zu unserer ersten Untertauchadresse. Schweigend legten wir den Rest des Weges zurück, in Todesangst, doch noch erwischt zu werden.
    Als wir bei der Adresse angekommen waren, trennten wir die Judensterne von unserer Kleidung ab. Danach klingelten wir und man öffnete uns die Tür. Ohne Sterne gingen wir nach oben zur Familie de Swaan.
    Noch am gleichen Tag wurde ich vom Gärtner der Familie abgeholt, Hannes Boogaard, ein Baum von einem Mann, der »der Baumaffe« genannt wurde. Erst mit der Straßenbahn und dann mit dem Bus machten wir uns auf den Weg zum Familienbauernhof der Boogaards in Nieuw Vennep. Die Familie bot so vielen Juden eine Bleibe, dass der Busfahrer sogar ansagte: »Juden für Boogaard hier aussteigen.« Eine schlechte Idee, denn sehr viele Juden, die auf dem Bauernhof untergetaucht waren, wurden verraten.
    Bei Boogaard wimmelte es von Leuten, dort waren etwa sechzig Juden. Harry war inzwischen auch angekommen, und abends brachte Hannes uns auf dem Rad zu einem Hausboot an der Lisservaart. Zum ersten Mal sah ich wieder Kühe, Gras, Weiden – so empfand ich es damals jedenfalls. Mit dem Rad über den Deich fahrend, ergriff mich ein Gefühl von Freiheit. Wundervoll, einen Augenblick war es, als könnten wir nicht jeden Moment aufgegriffen werden.
    Aus der Ferne sahen wir das Hausboot, es lag halb auf dem Land und halb im Wasser. Im Türrahmen stand ein Mann, Kees van Tol. »Bringst du mir wieder Juden?«, fragte er Hannes, als wir abstiegen. »Die kann ich nicht brauchen, wir hatten gerade eine Razzia .«
    »Du musst sie nehmen«, sagte Hannes. »Ich kann sie auch nicht mit zurücknehmen.«
    Im Wohnzimmer standen große Gladiolensträuße vor dem Fenster. Ob es ein Fest gegeben habe, fragte ich.
    »Nein«, sagte van Tol, »das dient als Sichtschutz, so kann keiner hineinschauen.«
    Es gab kein sauberes Wasser, kein Licht, kein Gas. Wir schliefen an diesem Abend auf einer Holzbank. Kurz bevor wir uns hinlegten, brachte er uns noch ein eigenes Laken. Und einen Topf für unsere Notdurft.
    Da es gerade eine Razzia gegeben hatte und die Deutschen fast immer an eine Adresse zurückkehrten, sagte er zu uns, wir müssten über Bord steigen, sobald sein Hund anfinge zu kläffen. Er war noch nicht ganz weg, als das geschah. Sofort stiegen wir aus dem Boot. Wir hingen im Wasser, die Hände an den Bootsrand geklammert. Falscher Alarm.
    Am nächsten Morgen nahm van Tol den Topf, spülte ihn im Kanal um, ruderte zur gegenüberliegenden Seite, holte Wasser aus der Pumpe, ruderte zurück und sagte: »Hier habt ihr Trinkwasser.«
    Auf dem Hausboot konnten wir nachts nicht bleiben, die Gefahr einer erneuten deutschen Razzia war zu groß. Van Tol erzählte von einer Insel, nicht weit entfernt. Dort hatten die Leute aus der Umgebung in einem Schuppen ein Kajütenboot versteckt, damit es nicht von den Deutschen beschlagnahmt würde. »Ich leihe euch mein Ruderboot«, sagte van Tol, »dann könnt ihr dort, auf dem Kajütenboot, die Nacht verbringen. Aber ihr müsst im Dunkeln hin und auch wieder zurück.«
    Als wir abends dorthin ruderten, hörten wir plötzlich plitsch, platsch, plitsch . »Sie haben uns entdeckt«, sagte Harry. Aber nichts geschah. Wir kamen auf der Insel an, öffneten den Schuppen und kletterten in das Boot. Wir waren gerade erst an Bord, als wir die Geräusche wieder hörten, und kurz danach wieder. Dann hörten wir von allen Seiten: plitsch, platsch, plitsch . Ratten, das ganze Gebiet war voller Ratten! Zwei Wochen lang ruderten wir abends dorthin. Wir schliefen kaum, und nach der ersten Nacht nahmen wir auch kein Essen mehr mit, denn das zog die Viecher an. Wir saßen zusammengekauert auf dem Boot, hielten uns an den Händen, sterbensbang, dass die Ratten über uns rennen würden, was sie auch taten.
    Nach zwei Wochen brachte ein junger Mann vom Widerstand den van Tols Lebensmittelkarten. Wir kamen ins Gespräch. Er erzählte von seinen Eltern und seinen Geschwistern. Und von ihren jüdischen Untertauchern, ein paar Kindern und einem älteren Mann. Das hätte der Junge niemals tun dürfen, aber für uns war es ein Glück, denn Harry hatte gehört, dass sein Vater sich an einem Ort versteckte, an dem auch Kinder

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