Verzaubertes Verlangen
musste sich bewegen, musste umherpirschen, um die Rastlosigkeit und das Jagdfieber zu bezähmen, die sein Blut noch immer brodeln ließen.
Es war, als würde der Jäger in ihm erwarten, dass sich jeden Moment ein anderer Schurke aus den Schatten auf ihn stürzte; ja, als würde er sogar auf eine solche Begegnung hoffen. Er sehnte sich nach Erlösung in der Form eines Akts der Gewalt oder eines Akts der Leidenschaft; beides würde gleichermaßen den Zweck erfüllen. Doch keins von
beidem war verfügbar, und deshalb musste er umherstreifen.
Der Streit mit Venetia hatte die bereits unhaltbare Situation nur noch schlimmer gemacht. Er brauchte die Dunkelheit und die Stille der Nacht, um seine Gedanken zu ordnen, das Raubtier zu besänftigen und seine Beherrschung wiederzufinden.
Im Haus hinter ihm hatte die Familie abermals Zuflucht in ihren Betten gesucht. Und es war wirklich jede Schlafstätte belegt. Gabriel würde die Dachkammer heute Nacht mit Montrose teilen.
Montrose hatte darauf beharrt, dass er durchaus imstande sei, allein nach Hause zu gehen, doch er hatte viel durchgemacht, und Gabriel wollte ihn nicht ein zweites Mal in Gefahr bringen. Niemand vermochte zu sagen, was der Mörder als Nächstes tun würde, jetzt, wo seine Pläne vereitelt worden waren.
Gabriel verließ die kleine Steinterrasse und trat auf den schmalen Gehweg, der sich durch den winzigen Garten schlängelte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Venetia schwierig zu lenken sein würde, ermahnte er sich. Er hatte die weibliche Herausforderung, die sie darstellte, sogar begrüßt. Doch tief in seinem Herzen hatte er immer angenommen, dass er bei einer direkten Konfrontation zwischen ihnen die Oberhand behalten würde.
Es war keine männliche Arroganz, die ihn zu dieser Überzeugung gebracht hatte, überlegte er; nicht einfach nur die Tatsache, dass er ein Mann war und sie eine Frau und dass sie sich deshalb letztendlich seinem Willen fügen würde. Ganz im Gegenteil, er war sicher gewesen, dass sie ihm in einer Krisensituation aus dem schlichten Grunde gehorchen
würde, dass sie blitzgescheit war und erkennen würde, dass er nur versuchte, sie zu beschützen.
Doch er hatte nicht bedacht, dass sie ihre eigenen Verpflichtungen und Pflichten hatte. Er hatte die Sache gründlich verpatzt. Diese Erkenntnis besserte seine Laune nicht gerade.
Die Hintertür quietschte leise.
»Gabriel?« Venetias Stimme klang zaghaft, als befürchte sie, er könne ihr den Kopf abreißen. »Ist alles in Ordnung?«
Er blieb stehen und schaute durch den Nebel zurück zu ihr. Er fragte sich, ob sie seine Aura betrachtete. Sie konnte ihn inmitten der undurchdringlichen Schwaden unmöglich sehen.
»Ja«, sagte er.
»Ich habe Sie von meinem Fenster aus gesehen. Ich hatte Angst, dass Sie wieder weggehen.«
Hatte diese Möglichkeit ihr tatsächlich Angst gemacht? »Ich brauchte frische Luft«, antwortete er.
Sie kam langsam, doch ohne zu zaudern, auf ihn zu. Sie wusste genau, wohin sie ihre Schritte lenken musste. Offensichtlich konnte sie seine Aura sehen und benutzte sie als Richtungsweiser.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagte sie. »Sie waren in einer sonderbaren Stimmung, seit Sie vorhin nach Hause gekommen sind. Sie sind nicht Sie selbst. Das ist nicht verwunderlich nach allem, was Sie in Mr. Montroses Haus durchgemacht haben.«
Ein grimmiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Sie irren sich, Venetia. Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich heute Nacht vollkommen ich selbst bin. Zu sehr, bedauerlicherweise.«
Sie blieb einige Schritte entfernt stehen. »Ich verstehe nicht.«
»Ich denke, Sie sollten jetzt besser wieder ins Bett gehen.«
Sie kam etwas näher. Er sah, dass sie noch immer den flauschigen Morgenmantel trug, den sie vorhin anhatte. Sie hatte die Arme fest um sich geschlungen.
»Sagen Sie mir, was los ist«, sagte sie überraschend sanft.
»Sie wissen, was los ist.«
»Ich weiß, dass Sie verärgert sind, weil ich London nicht verlassen will, aber ich glaube nicht, dass das der einzige Grund für Ihre derzeitige Stimmung ist. Sind es Ihre Nerven? Sind sie noch immer überreizt von der schockierenden Begegnung heute Nacht?«
Er stieß ein kurzes, boshaftes Lachen aus. »Meine Nerven. Ja. Das ist zweifellos auch eine Erklärung.«
»Gabriel, bitte. Sagen Sie mir, warum Sie sich so aufführen.«
Der Damm in seinem Innern brach ohne Vorwarnung. Vielleicht lag es daran, dass er sich so nach ihr verzehrte, vielleicht aber auch daran, dass
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