Vier Äpfel
Werde ich in diesem Supermarkt, und wenn ja, wofür, bestraft? Bin ich nicht nett genug, bin ich gemein gewesen? Ich weiß nicht weiter und weiß nicht, welches Regal ich ansteuern soll, blind wie ein Schlachtschiff vor der Erfindung des Radars dampfe ich durch den Nebel der Verpackungsvielfalt. Mein Wagen hat mir, was für eine Enttäuschung, nichts zu sagen. Er macht mir keinen einzigen Einkaufsvorschlag und hat sich nicht einmal gemerkt, was ich vorgestern, letzte Woche oder vor einem Jahr gekauft habe. Der winzige Einkaufswagen auf der Seite meines Internetkaufhauses weiß das alles noch, er erinnert sich an jedes Buch, die elektrische Zahnbürste und die Daunenkissen, die ich dort bestellt habe. Auf mich wirkt das immer so, als wüßte man dort ganz genau, wofür ich mich sonst noch interessiere, man macht mir Vorschläge, berät mich und verrät ganz nebenbei, wieviel man von mir weiß. Man weiß, wie alt ich bin, wo ich wohne und wieviel ich grob geschätzt verdiene, durch Vornamens- und Adreßanalysen kennt man mein ungefähres Bildungsniveau, und man weiß wahrscheinlich auch, ob ich Kartoffelpüree aus der Tüte mag und Fischstäbchen oder anderen Tiefkühlfisch esse, ob ich überhaupt Tiefkühlkost kaufe oder abgepackten Käse und welche Joghurtsorten mir schmecken, wieviel Minuten am Tag ich lese und vor meinem Computer sitze, ob ich mir Sorgen um meine Altersversorgung mache, was ich von einer gutenMatratze erwarte, wie oft ich meine Waschmaschine anstelle, ob ich Weichspüler verwende und so fort.
90
Mein Einkaufswagen rollt weiter, und mir ist, ich kann mir nicht helfen, als würde ich verfolgt. Ich drehe mich um, niemand zu sehen. Trotzdem, kein Zweifel, einer geht mir hinterher. Ein Bekannter hat mir einmal erzählt, daß in manchen Supermärkten und Einkaufszentren sogenannte Verfolger arbeiten, die zufällig ausgewählten Kunden hinterhergehen, um deren Routen durch das Geschäft genau aufzuzeichnen und zu notieren, vor welchem Regal sie wie lange stehen bleiben, welche Produkte sie prüfen und welche sie nicht wieder zurückstellen, sondern tatsächlich in ihre Einkaufswagen legen. Um meinem Verfolger auf jeden Fall zu entkommen, schlage ich einen Haken, biege um zwei Ecken, schiebe meinen Wagen zurück zum Spielzeug, fahre an den Heftpflastern und Wattestäbchen vorbei und weiter zu den eingelegten Gurken. Gibt es eine Überwachungsanlage, die mein Bewegungsprofil mit allen anderen gespeicherten Datensätzen vergleichen kann? Erkennt diese Anlage mich wieder? Wundert sie sich vielleicht über meinen Zickzackkurs? Läßt sich ein Ladendieb an einem untypischen, auffälligen Bewegungsmuster erkennen? Wie reagiert eine Bewegungsprofilerkennung auf tanzende Kunden und Verkäufer? Gibt es hier vielleicht Geräte, die aus der Entfernung ganz unbemerkt Gehirnströme und damit Hirnaktivität und also den Grad meiner Erregung vor bestimmten Produkten messen? Sind die Regale schon mit versteckten Kameras ausgerüstet, die, ich weiß, daß es das gibt, registrieren, wie lange eine Person auf ein Regal schaut,und dabei sogar feststellen können, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt? Sieht die große Kamera da oben alles und zeichnet auf, was ich mir kaufe?
91
Storno Kasse zwei, tönt eine Stimme über mir, dann geht die leise Supermarktmusik, der Muzak, den ich die ganze Zeit über gar nicht bemerkt habe, weiter, gedämpft, als käme er durch eine Trennwand oder Zwischendecke, an der, ich habe offenbar noch nie nach oben gesehen, nackte Neonröhren in langen Doppelreihen montiert sind, weißleuchtende Linien, die sich durch den gesamten Verkaufsraum ziehen. Von den Regalen hängen rote Preisfähnchen aus Karton, wie Haltesignale ragen sie zwischen den Verpackungen heraus und bewegen sich im Lufthauch hin und her, sie winken mir und sagen, kauf dieses Produkt, und du sparst dabei. Auch von oben, an dünnen, fast nicht sichtbaren Schnüren befestigt, hängen immer wieder Schilder in den Verkaufsraum, Phylakterien, die mir bedeuten, daß es hier Batterien und dort Teigwaren, dahinten Süßwaren und noch ein Stück weiter Schreibwaren gibt. Storno Kasse zwei, wiederholt die Stimme über mir, und weil ich mich umsehe, fällt mir plötzlich auf, wie bunt es hier ist. Die Regale um mich herum sind ein einziges verschwommenes Farbenmeer, es bräuchte, so ein Bild könnte mir gefallen, einen Supermarktpointillisten, um sie zu malen, immer stehen zwei oder drei oder vier identische Verpackungen oder
Weitere Kostenlose Bücher