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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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bedauernd.
    »Ich kann da nicht reinschauen, sonst schlage ich noch das Schaufenster ein.« Lena setzte sich auf die Bordsteinkante und biss sich mit gespielter Verzweiflung ins Knie. »Hunger! Argh!«
    »Hey. Schade um das schöne Knie.« Grinsend setzte sich Maik neben sie.
    Ich verstand nicht, wie er tickte. Vor weniger als sieben Stunden hatte er sich eine Knarre an den Kopf gehalten und fast abgedrückt, und jetzt flirtete er schon wieder. Wie konnte er so schnell umschalten?
    Sterben kann man jeden Tag.
    Er sprang auch von Brücken, ohne groß nachzudenken, vielleicht war das der Grund. Seine Finger trommelten unruhig auf der Bordsteinkante.
    Ich hatte noch immer den Duft von Lenas Parfum in der Nase, mochte die schwere Süße und wusste, dass Gerüche entscheidend dafür waren, in wen man sich verliebte. Das Gegenteil war längst zu einer Redewendung geworden: Jemanden nicht riechen können . Ich fragte mich, ob das auch für Parfums galt, oder ob diese nur falsche Gefühle hervorriefen, so wie sie den wahren Geruch eines Menschen überdeckten. Aber sagte es nicht auch etwas aus, für welchen Geruch sich ein Mädchen entschied? Kam da nicht der freie Wille ins Spiel, so wie bei gefärbten Haaren und der Auswahl der Kleidung? Hieß es nicht, dass ein Parfum bei jedem anders roch, weil es sich mit den Körpergerüchen verband?
    Du denkst zu viel , hatte Christoph oft gesagt, und jedes Mal hatte er recht gehabt. Aber ich konnte nicht aus meiner Haut. Und wenn ich darüber nachdachte, weniger zu denken, war das der Punkt, an dem sich die Schlange in den Schwanz biss.
    Manchmal wollte ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen, nur damit er aufhörte zu arbeiten, wenn auch nur für eine Minute.
    Selina legte die Hand an die Scheibe und blickte in den Laden. Vielleicht drehte sie aber auch nur Lena und Maik den Rücken zu.
    »Der Hunger geht immer vor«, sagte Lena und legte ihren Kopf schräg auf die Knie, das Gesicht Maik zugewandt. Sie hatte die Beine fest aneinandergelegt, sodass man ihr nicht unter den Rock schauen konnte. Als drüben der nächste Bankangestellte auftauchte, sah er trotzdem zu uns herüber.
    Zum ersten Mal fragte ich mich ernsthaft, ob Christoph vielleicht doch etwas mit Lena gehabt hatte. Selina war schöner, aber in Lenas Lachen lag etwas Spitzbübisches, in ihrem Blick konnte etwas Herausforderndes blitzen. Ihre Zurückhaltung in der Schule war vielleicht gar keine Schüchternheit, sondern nur Langeweile. In ihr schien eine Lena zu schlummern, die von Brücken springen konnte, ein Mädchen, mit dem man durchbrannte. Und Christoph hatte immer fortgewollt. In die Welt hinaus ausbrechen, das tat man mit Lena, Selina dagegen brachte man die ganze Welt und legte sie ihr zu Füßen.
    Du denkst zu viel , sagte Christophs Stimme in meinem Kopf. Und manchmal denkst du richtigen Stuss.
    Aber ich konnte damit nicht aufhören. War sie der Grund, warum du nie Selina erwähnt hast, wenn du vom Abhauen gesprochen hast?
    Christoph schwieg.
    Wir kauften Croissants, belegte Semmeln – die Brötchen und Weckle hießen –, noch warme Apfeltaschen, Spitzbuben und Brezen für später, dazu vier Flaschen Cola und die zwei letzten Energydrinks aus dem Kühlregal, die fast abgelaufen waren.
    »Scheint kein Renner zu sein. Verschlafenes Nest halt«, sagte Maik, ohne das Gesicht zu verziehen oder die Stimme zu senken.
    Die junge Frau in der Schürze lächelte, ging aber nicht darauf ein.
    Jeder nahm noch einen großen Pappbecher Kaffee, und damit setzten wir uns auf die Parkplatzmauer aus grauem Beton, die nicht einen Tag aufwies, nur eine Botschaft aus schwarz gesprühten Buchstaben: Pro Pyrotechnik – VfB forever . Der ganze Platz bestand aus hellen graumelierten Platten.
    »Endlich«, sagte irgendwer von uns, es hätte jeder sein können, und dann wurde nur noch gekaut.
    Ich stopfte mir ein halbes Croissant in den Mund und schob die zweite Hälfte nach, bevor ich alles runtergeschluckt hatte.
    Maik verbrannte sich die Lippen am Kaffee, spuckte ihn auf den Fußweg vor uns und lachte.
    »Machst du das daheim auch?«, kläffte ein sauber gescheitelter Mann durch ein offenes Autofenster, der neben uns abgebremst hatte.
    »Ich bin hier daheim«, rief Maik. »Ich wohne auf der Straße. Aber schreist du deine Kinder daheim auch so an?«
    »Was?« Der Mann setzte den Blinker, um auf den Parkplatz abzubiegen.
    Maik stellte den dampfenden Pappbecher auf die Mauer und sprang auf der Innenseite herunter. Er richtete sich zu

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