Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
voller Größe auf und tänzelte wie ein Boxer auf der Stelle.
»Maik«, versuchte Selina ihn zu beruhigen.
Ich stellte mich neben ihn; auch wenn ich kleiner war und nicht wusste, wie man richtig zuschlug, weil ich es nie tat. Zwei waren besser als einer.
Maik grinste.
Ich tänzelte auch, aber ob es wie bei einem Boxer wirkte oder nur albern, wusste ich nicht.
»Jan. Bitte«, sagte Selina. »Sei wenigstens du vernünftig.«
»Bin ich.« Ich hüpfte weiter auf der Stelle.
Maik sang Eye of the tiger , ich kannte den Text nicht und begnügte mich mit Geräuschen: Df … df, df, df, … df, df, df …
Lena lächelte.
»Boxt du?«, fragte ich Maik.
»Nur an der Konsole. Aber das weiß der Schwachkopf ja nicht.«
Der Mann bog auf den Parkplatz und ignorierte uns. Mit geschlossenem Fenster fuhr er ganz ans andere Ende hinüber und hielt direkt an der Bank. Hastig stieg er aus und eilte im Stechschritt auf die Hintertür zu, einen kleinen Koffer in der Hand.
Wir lachten und johlten und feuerten ihn an.
»Schau mal!« Maik griff nach seinem Kaffee, um noch einen Schluck auf den Parkplatz zu prusten, und verbrannte sich wieder die Lippen. Fluchend verschüttete er die Hälfte aus dem Becher, doch zu spät, der Mann war längst im Gebäude verschwunden.
Maik holte sich einen neuen Kaffee, um ihn diesmal tatsächlich zu trinken, und Lena ließ sich einen zweiten mitbringen, um wach zu werden.
»Was meint ihr, wessen Eltern als Erstes anrufen, weil wir nicht daheim sind?«, fragte Selina.
»Meine sind im Urlaub.« Ich hob die nackten Füße auf die Mauer und hielt die Knie in Richtung Sonne. Ganz tief im Gelenk steckte noch immer ein Rest der Kälte, die Gummistiefel lagen neben dem Roller.
»Meine arbeiten bis sechs, vor acht vermissen die mich nicht«, sagte Maik. »Wenn ich ihnen eine SMS schreibe, dass ich bei einem Kumpel esse und penne, rufen sie nicht vor morgen an.«
»Meine Mutter arbeitet auch«, sagte Lena. »Die macht sich erst Sorgen, wenn sie heimkommt, dann aber richtig.«
»Dann bin’s wohl ich.« Selina schürzte die Lippen und sprach leise, als wäre das peinlich. Dabei waren Elternanrufe nur auf Partys peinlich, nicht wenn man durchbrannte. »Meine Mutter hält 1984 nicht für eine Dystopie, sondern für einen Ratgeber über familiäres Zusammenleben.«
»Kommt ja auch ein großer Bruder drin vor.« Maik saß im Schneidersitz auf der Mauer und pustete den neuen Kaffee kalt, den er vor sich abgestellt hatte.
»Ha ha ha.« Sie lächelte trotzdem. »Große Brüder gibt es bei uns nicht, aber verbotene Begriffe. Und die Vergangenheit ist so, wie meine Mutter sich daran erinnert, alle anderen Varianten lässt sie nicht gelten. Sie will immer wissen, was wir tun, und im Notfall kann sie über eine Website sogar mein Handy orten.«
»Echt?« Maik hörte auf zu pusten.
»Echt. Nur zu meiner Sicherheit, hat sie gesagt. Falls mir was passiert oder ich entführt werde, dabei ortet die Polizei dann bestimmt auch so mein Handy, wenn der Entführer zu dumm ist, um es wegzuwerfen.«
»Die weiß immer genau, wo du bist?«, fragte ich. Hoffentlich erfuhren meine Eltern nie von dieser Website.
»Wenn sie will, ja. Auf 250 Meter genau. Sie muss sich nur einloggen und nachsehen. Zumindest, wenn mein Handy eingeschaltet ist.«
»Dann müssen wir es loswerden.«
»Nein!« Das kam schneller, als man darüber nachdenken konnte. »Wenn sie mich nicht erreicht, meldet sie mich sofort als vermisst, und dann haben wir die Polizei am Hals.«
»Verdammt! Und was sollen wir …?« Wie Maik das im Schneidersitz schaffte, kann ich nicht sagen, aber er stieß den Kaffee um, der Becher rollte den Ansatz eines Halbkreises und stürzte kaffeespritzend über den Rand. Maik unterbrach seinen Satz mit einem Fluch und starrte auf den schwarzen Fleck auf den grauen Steinplatten, als wollte er darin eine Form erkennen. Ich suchte nach einem Schmetterling und fand nur dunkle Wolken, aus denen es schwarz regnete. »Das ist doch nicht wahr jetzt!«
»Magst du die Hälfte von meinem?«, fragte Lena.
»Nein! Ich werd es wohl schaffen, einen Kaffee zu kaufen und zu trinken, ohne ihn auszuspucken oder runterzuwerfen. Ich hol mir jetzt den dritten, und wenn es sein muss, noch einen vierten und fünften. Das wäre doch gelacht. Will noch jemand?«
Selina wollte.
»Das Bäckermädel glaubt noch, ich will mit ihr anbandeln.« Maik sprang von der Mauer und ging wieder hinüber.
Wir überlegten, was wir mit Selinas Handy machen
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