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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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wieder Klavier und Benjamin lief in seinem Zimmer auf und ab und telefonierte, ich konnte ihn durch die Scheibe sehen. Stand da Stefan oder Julius? Was sollte dieser Blödsinn? Die Person bewegte sich nicht. Und noch etwas fiel mir auf. Der Kopf. Er war seltsam unförmig. Ich rannte zurück in mein Zimmer und riss die Tür zum Korridor auf. Stefan undJulius standen vor dem Mountainbike, mit Schraubenziehern in der Hand, Lauren hockte daneben auf dem Boden. Sie sahen mich fragend an.
    »Ist irgendwas?« Stefan blickte erwartungsvoll zu mir.
    Wortlos kehrte ich in mein Zimmer zurück. Meine Gedanken rasten kreuz und quer, wie ein Irrlicht erschien die Figur am Fenster immer wieder in meinem Kopf. Alle waren unten im Haus. Alle waren da, wo sie sein sollten. Kein Grund zur Panik. Doch da oben war jemand, ich hatte es eindeutig gesehen. Ein Geist? Es gab keine Gespenster. Ich war nicht verrückt. Ich warf mich auf mein Bett. Etwas Hartes grub sich in meine Rippen. Hatte ich mein Buch liegen gelassen? Ich hob die Decke hoch. Es war kein Buch.
    Es war Schokolade, eingepackt in feines Papier mit eleganten Goldbuchstaben.

8. Kapitel
    Den ganzen nächsten Vormittag lang dachte ich nach. Ich hatte die Schokolade bislang nicht angerührt, obwohl ich solchen Appetit darauf hatte. Etwas hielt mich davon ab.
    An diesem Morgen war in der Kanzlei nicht viel los. Weder Frau Ott noch ihr Enkel Lars ließen sich blicken. Das fand ich schade. Erstens war er mir sympathisch gewesen und zweitens hatte ich das Bedürfnis, mit jemandem außerhalb meiner WG zu reden. Ich seufzte. Alles, was ich tun musste, war Akten heraussuchen. Es war nicht gerade ein Job, der mich geistig überforderte, weshalb mir Zeit zum Grübeln blieb. Viel zu viel Zeit.
    Gestern Abend hatte ich einfach angenommen, die Schokolade sei von Claire. Logischerweise, denn sie hatte genau diese Sorte in ihrem Hamsterversteck. Und außerdem war ich letzte Nacht viel zu fertig wegen des Unbekannten am Fenster gewesen, als dass ich mir Gedanken über dieses seltsame Geschenk gemacht hätte. Ich war in einen unruhigen Schlaf gefallen, zu spät und schweißgebadet aufgewacht und zur Arbeit gehetzt.
    Jetzt erst kam ich zur Besinnung. Und die Frage, dieimmer dringlicher in meinem Kopf herumgeisterte, war: Welchen Grund sollte Claire haben, mir heimlich Schokolade ins Bett zu legen? Sie war sauer auf mich gewesen, weil ich ihre Noten beinahe in rosarotem Alkohol ertränkt hatte. Nicht gerade ein Grund, jemandem was zu schenken. Hatte sie vielleicht wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen? Sie kam mir nicht vor wie jemand, der sich mit Selbstvorwürfen quälte. Das war eher meine Spezialität.
    War Claire vielleicht ... lesbisch? Sollte das so eine Art Liebesbekundung sein? Und wie sollte ich damit umgehen? Nein, Blödsinn. Ich verbannte diesen Gedanken gleich in die letzte Ecke meines Gehirns. Sie interessierte sich herzlich wenig für mich. Sehr unwahrscheinlich, dass sie in mich verknallt war.
    Aber wenn Claire es nicht gewesen war – wer dann? Ich musste an die Person hinter der Scheibe denken. An den eigentümlich verwachsenen Kopf. War etwas mit der Schokolade? War etwas in der Schokolade? Die Temperatur im Zimmer schien auf einmal um 10 Grad zu sinken, obwohl draußen herrlichster Sonnenschein war.
    Ich schüttelte mich leicht. Jetzt bloß nicht panisch werden. Es war doch nur Schokolade, verdammt noch mal! Wahrscheinlich auch ein Gag, wie die Blumen. Wahrscheinlich hatte ich noch Glück – in der Computer-WG hätte man mir vielleicht ein Kabel ins Bett gelegt.
    »Ist Ihnen nicht gut?« Frau Wagner war hereingekommen, ohne dass ich sie bemerkt hatte.
    »Nein, nein, mir geht's prima. Ich lese mir nur die Fälle durch.«
    »Sind die so schrecklich? Sie sehen so blass aus. Ich kann mich gar nicht mehr an die Details erinnern, zeigen Sie mal her.«
    Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Akte Patzmann gegen Stiller.
    »Ach, das war der, der seinem Nachbarn die Katze vergiftet hat. Aus Versehen, hat er behauptet. Man konnte ihm damals nichts nachweisen. Daraufhin hat sich die andere Familie einen Hund angeschafft, der hat ihn jetzt gebissen. Aus Versehen, behauptet nun die Katzenfamilie. Ein Ringelpietz ist das ... Man könnte meinen, die Leute haben nichts anderes zu tun, als sich mit ihren Nachbarn zu streiten.« Sie seufzte. »Na, wissen Sie, das müssen Sie sich heute nicht mehr antun. Sie können ruhig schon eher gehen.«
    Sie hielt ein paar Blätter hoch, die sie in

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