Villa des Schweigens
vorn.
»Nicht!«, formte mein Mund, doch da riss sie schon die Tür mit einem Ruck auf. Ich sah, wie ihre Augen sich weiteten. Dann fing sie laut an zu lachen.
»Wa...?« Ich verstand die Welt nicht mehr. Lauren verschwand in dem Zimmer. Ich folgte ihr, völlig verdutzt, und dann kapierte ich endlich.
Am Fenster stand eine Schneiderpuppe! Eine blöde, nackte, menschengroße Schneiderpuppe aus Holz. Und auf dem Kopf hatte sie einen Hut. Das war alles. Kein Elefantenmensch, kein verrückter alter Untermieter, kein Gespenst und kein Einbrecher. Der Lichtschein, so verstand ich jetzt, war von unten her durch die halb geöffnete Tür gekommen. Mir fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Am liebsten hätte ich Lauren umarmt. Stattdessen fing ich auch an zu lachen. Wir lachten und lachten, bis uns dieTränen kamen. Dann steigerte sich unser Lachen in eine Art Kreischen.
»Hör auf, hör auf«, schrie Lauren. »Ich mach mir gleich in die Hosen!«
Aber ich konnte nicht aufhören. Ich war einfach so erleichtert. Denn auch wenn ich es nicht zugab: Die Villa jagte mir irgendwie Angst ein. Und alle waren so eigenbrötlerisch. Außer Lauren. Ich war so froh, dass wir uns ein bisschen angefreundet hatten. Sie hatte es geschafft, dass ich mich nicht mehr so ausgeschlossen fühlte.
»Wir können doch mal was zusammen unternehmen«, sagte ich spontan.
»Klar. Ich geb dir unten meine Telefonnummer.«
Mann, war ich froh. Vielleicht hatte ich soeben meine erste Freundin hier gefunden.
Wir kicherten immer noch und setzten der Puppe den Hut verkehrt herum auf. Vom Flur her erklangen plötzlich Schritte. Erschrocken hielten wir inne. Jemand schob seinen Kopf durch den Spalt.
Es war Stefan. Und als wir seinen verängstigten Gesichtsausdruck sahen, fingen wir wieder blökend an zu lachen.
»Mensch, habt ihr mich erschreckt! Was macht ihr denn hier? Und warum gackert ihr so albern rum?«
Wir schnappten nur nach Luft.
Stefan schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt zwischen mir und Lauren hin und her. Er fing an zu grinsen und trat auf uns zu.
»Ich dachte, hier oben wären Ratten, dabei sind es zwei verrückte Hühner.« Er fasste uns plötzlich in die Haare und wuschelte sie herum, als wären wir zwei unartige Schulkinder. Verlegen zog ich meinen Kopf weg.
»Ach, Stefan«, jauchzte Lauren und flog ihm in die Arme. »Wir dachten, die Puppe wäre ein Mensch.«
»Wieso steht eigentlich mein Freund Billy ganz alleine da unten auf der Treppe?« Stefan schüttelte sie ab.
»Was macht ihr denn hier?« Claire tauchte auf einmal hinter Stefan auf. »Lasst euch nicht von Julius erwischen. Der flippt aus. Hier oben ist Schwamm in den Wänden.« Die Neugier hatte sie aber offensichtlich trotzdem nicht davon abgehalten, in das schwammverseuchte Obergeschoss zu kommen.
Eine leise Unzufriedenheit machte sich in mir breit. Eigentlich hatte ich Lauren noch von den Sachen auf meinem Bett erzählen wollen. »Benjamins Box« hätte ich mir auch gern näher angesehen, jetzt wo ich wusste, dass es hier nicht spukte. Und warum Julius bei der Polizei bekannt war, hatte ich ebenfalls nicht erfahren. Nun war der perfekte Moment vorbei. Aber ich wollte nicht vor Claire und Stefan damit anfangen. Denn bislang wusste ich nur eins: Lauren konnte ich vertrauen und sie war ganz bestimmt nicht der Typ, der nachts durch den Garten und das Haus schlich. Doch die anderen?
Langsam formt sich aus der Idee ein Plan. Ich halte es kaum noch aus. Fantasieren reicht mir nicht mehr!
Aber der richtige Zeitpunkt will gut gewählt sein.
Eigentlich ist es ja ganz einfach. Alle um mich herum sind so berechenbar. So einfältig. So leicht zu durchschauen. Sie tragen ihre Schwachstellen wie Schilder vor sich her. Das Mädchen ist zum Beispiel so zutraulich.
Eine an Idiotie grenzende Vertrauensseligkeit.
Ich werde sie zu nutzen wissen.
Und an der hässlichen Eidechse werde ich üben.
10. Kapitel
Am nächsten Tag hatte ich frei und schlief fast bis Mittag. Ich hoffte, dass Lauren immer noch da wäre und wir vielleicht etwas gemeinsam unternehmen könnten, aber ich hatte Pech. Lauren musste ihrer Mutter helfen, wie ich von Stefan erfuhr. Als ich aufstand, war er gerade auf dem Weg nach draußen, ein angebissenes Brötchen in der Hand. Seine Haare waren noch feucht vom Duschen und ein bisschen zerstrubbelt. Absichtlich?
»Kommt sie später her?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Sie kommt ja fast jeden Tag.«
Täuschte ich mich oder schwang da
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