Villa des Schweigens
ein leiser Unwille in seiner Stimme mit? Sonst war er doch mit Abstand der Freundlichste im Haus.
»Zum Aufräumen?«, rutschte es mir heraus.
Seine Augen verengten sich. Er lachte ein bisschen zu laut. »Wie kommst du denn darauf?«
»Entschuldige«, sagte ich sofort. »Sie hat mal so was gesagt. Es sollte wohl ein Witz sein. Oder so.« Ich redete mich immer mehr in Verlegenheit.
»Na ja, wenn sie aufräumen will, werde ich sie nicht aufhalten, oder?« Er klappte das Brötchen aufund zupfte ein Salatblatt heraus. »Da wäre ich ja schön blöd.«
Wir betrachteten beide das welke Blatt, das wie ein grünes UFO auf den Boden segelte.
»Uh, muss los.« Er tippte sich kurz an eine imaginäre Mütze und lief mit eiligen Schritten hinaus.
Sollte ich Lauren anrufen? Ich glättete den Zettel, auf den sie ihre Telefonnummer gekritzelt hatte. Mit einem goldenen Stift, der rosa schrieb und mit ihren eingravierten Initialen verziert war. Ich hatte wirklich Mühe gehabt, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, als sie mir erzählt hatte, dass dies ihr schönstes Weihnachtsgeschenk gewesen war. Ich ließ den Zettel sinken. Eigentlich hatten wir nicht so furchtbar viel gemeinsam. Ich wählte lieber Nadjas Handynummer.
»Ja?«, sie klang gehetzt.
»Mann, Nadja, hier passieren vielleicht seltsame Dinge. Auf meinem Bett lagen ...«, setzte ich an, aber sie unterbrach mich sofort.
»Sorry, ist es superwichtig? Ich hab total vergessen, für so eine blöde Reisegruppe die Plätze zu reservieren, und jetzt drehen hier alle gerade ein bisschen durch.«
»Ach so.« Ich versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen.
»Meld dich später noch mal, okay? Oder ich ruf dich an, wenn ich Zeit habe. Denk dran, wie ich dichbeneide!« Frauengelächter erklang. Offenbar die Reisegruppe. Nadja fluchte leise. Ich verabschiedete mich und legte auf. Draußen im Garten surrten die Insekten und eine fremde Katze huschte bei meinem Anblick davon. »Miez, Miez«, rief eine Frauenstimme von irgendwoher. Eine alte Frau. Die verrückte Weber? Das brachte mich auf meine Vorgängerin und ihre seltsamen Kalendereinträge. Ich ging zum Schrank und betrachtete die Schublade genauer. Stefan hatte es mit roher Gewalt versucht, ich würde mit Logik rangehen. Ich legte mich auf den Bauch. Natürlich klemmte das Ding. Es war falsch eingehängt, etwas, das man behutsam angehen musste. Ich ruckte und schob daran herum, bis es plötzlich nachgab. Die Schublade glitt heraus. Zerknüllte Klamotten, durcheinandergeworfen. Ich zog ein langärmliges T-Shirt heraus. Unten an den Ärmeln war es dreckig. So braun. Ich kniff die Augen zusammen. War das Blut? Ich ließ das Shirt mit leichtem Ekel fallen, griff mir das nächste. Genau dasselbe. Ich wühlte alle Klamotten durch, die meisten Oberteile hatten irgendwelche Flecken am Ärmel. Was war hier passiert? Hatte Jette sich verletzt? Jedes Mal , wenn sie was Neues anzog? Nicht sehr wahrscheinlich. Hatte jemand anders ihr wehgetan? Dann waren da noch lose Blätter, vollgeschmiert mit einer Schrift, die ich kaum entziffern konnte. Englisches Zeug. Crazy bitch ... pain ... red tears ... beautiful ... scars ... death ... salvation ... Ich starrte auf diewirren Sätze, aus denen die Verzweiflung sprach. Stellte mir ein blasses, trauriges Emo-Mädchen vor, das mit blutverschmierten Armen in ihrem dunklen Zimmer hockte. Angst hatte?
Und anschließend fröhlich zu ihrem Austauschsemester nach Schottland aufgebrochen war? Und wieso eigentlich jetzt schon – selbst im kühlen Schottland fanden doch wohl im Hochsommer noch keine Vorlesungen statt?
In der Küche saß Claire, die an einem Kaffee nippte. Ich setzte mich zu ihr.
»Sag mal, diese Jette aus meinem Zimmer, hat die sich geritzt? Ich hab da solche Sachen gefunden.«
Claires Kopf fuhr hoch. »Was?«, fragte sie scharf.
»Ich kann's dir zeigen, an ihren Shirts klebt altes Blut.«
»Nein danke. Und du solltest ehrlich gesagt nicht in ihrem Zeug rumwühlen. Wenn sie aus Schottland zurückkommt, wird ihr das wohl kaum gefallen.«
»Wieso ist sie eigentlich schon dort?«
Claire schwieg.
Ich ließ nicht locker. »Das Studium beginnt doch sicher erst im Herbst?«
Julius kam hereingeschlurft.
»Vielleicht weiß Julius ja, warum Jette jetzt schon in Schottland ist?«, sagte Claire laut. Ihre Stimme klang irgendwie amüsiert.
Julius brummte etwas und griff dann zu meinem Entsetzen ohne hinzusehen nach der Pizzaschachtel.
»Das kannst du nicht mehr ...«, weiter kam
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