Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
meinte Rijo zweifelnd und trommelte mit den Fingern auf den Tellerrand. Zugleich schüttelte sie den pelzigen Kopf.
Sergios zuckte die mageren Schultern und sah entschuldigend zu Jonas Cousine hinüber.
»Mir ist schon klar, dass ich so aus der Ferne zu wenige Informationen hatte. Seit ich hier bin, frage ich mich von Stunde zu Stunde mehr, ob es nicht völlig idiotisch von mir war, solche Hypothesen zu entwickeln.«
Was er in Wirklichkeit dachte und beinahe nicht zu denken wagte, war: Wir wissen, dass dieses Ding handeln kann und dass es Entscheidungen trifft, aber was wir wirklich wissen wollen, ist folgendes: Ist es sich seiner Existenz bewusst? Ist es intelligent?
Er nagte an seiner Unterlippe und schwieg.
»So irrt der Mensch, solang er strebt«, murmelte Jona, »ein Schatten bloß die Sätze, die vor ihm fliehen wollen, wenn er sie ergreift.«
Jetzt fängt er damit wieder an, dachte Thanassatrides, der Jonas poetische Anwandlungen bereits zu kennen glaubte.
»Fang nicht wieder damit an«, sagte Rijo, als hätte sie die Gedanken Sergios‘ gelesen.
Der Zentralier musterte völlig verdattert die kleine Frau, während sie ihrem Cousin einen kurzen, vernichtenden Vortrag über die Nutzlosigkeit von poetischem Geschwafel hielt. Ein Eingesicht hielt sich mit den Pfoten Ohren und Augen zu, während das andere spielerisch anmutende Schläge austeilte.
Während all dies geschah, scharrten und knarrten die Äste, Wurzeln und fischleibartigen Triebe draußen an der Hülle entlang, das verwinkelte Haus wankte und vibrierte, stetig durch das Gewirr des vertikalen Waldtieres gleitend. Die seltsamsten Formen tauchten auf und verschwanden. Einige davon wirkten wie danebengegangene Versuche, einen Häuslebauer zu erschaffen, andere wie Flossen und blattfarbene Spinnenbeine.
Thanassatrides dachte daran, dass sein Traum greifbar war: Kontakt nicht zu einer schnöden roten Linie, sondern zu einem planetenumspannenden Ozean von Informationen. Etwas, das kein Zentralier seiner Familie geschafft hatte. Draußen herrschte schattiges Halblicht, gefiltert von Unmengen Gestrüpp. Als es heller wurde, merkte Sergios auf und sah neugierig aus einem der Fenster; vielleicht war es mal ein Rochengleiter-Bullauge gewesen, das man zum Doppelten seiner Größe aufgebohrt hatte.
Das Haus gelangte an den Rand einer grün strahlenden Lichtung. Man war hier, was die Höhe betraf, mitten in den Wolken, und die diffuse Helligkeit schien nicht dazu geeignet, eine derartige Farbenpracht hervorzubringen. Cousin und Cousine bemerkten, wie fasziniert ihr Gast hinausblickte, und beendeten ihr Geplänkel. Stumm sahen sie zu, wie Thanassatrides lächelte. Sprossen und Fühler griffen ineinander, durchsichtig anmutende winzige Blätter zitterten unter dem feinen Nieseln eines kaum wahrnehmbaren Regens. Die Lichtung wirkte, als wäre sie vor wenigen Sekunden aus einem unsichtbaren Acker emporgesprossen.
»Eine Sämlingslinse«, sagte Jona leise. »Das sind so Teiche, die sich spontan bilden und in kürzester Zeit eine Unmenge neuer Pflanzen, Halbpflanzen und Getier zum Vorschein bringen. Danach verschmelzen sie wieder mit dem Supergestrolch, um anderswo wie aus dem Nichts wieder aufzutauchen.«
»Komm«, sagte Rijo, ihr Eingesicht war beiseite gesprungen und machte sich an der Wand des Raumes zu schaffen, »das kannst du dir aus der Nähe ansehen, warte ...«
Die Pfoten hatten Mechanismen betätigt, die noch aus jener Zeit stammen mochten, als dieser Teil des Hauses ein Rochengleiter gewesen war, der zum Umherschweben kein unheimliches Tierpflanzemischwesen benötigte. Eine breite Luke öffnete sich, und ein Teil der Wand wurde zu einem Balkon hinein in die zartgrüne Explosion aus Leben.
»Wir glauben, dass Sämlingslinsen ein Teil der Reproduktionsprozesse des Wesens sind«, sagte Rijo.
»Von irgendwas müssen ja all diese Lebensformen abstammen«, meinte Jona. Er klang nicht, als wäre er von dieser These überzeugt. Er gab eine herrschende Meinung wieder, das spürte Sergios.
Thanassatrides trat vor an den Rand des Balkons, der an den sprossenden Gewächsen entlangstrich. Die Antennen und Keimlinge betasteten die Außenhaut des Hauses, als wären sie neugierig. Einer spontanen Eingebung folgend hockte der Zentralier sich hin und streckte die Hände aus. Die zarten Ranken streiften darüber, blieben kurz haften, lösten sich und machten anderen, ebenso wissbegierigen Trieben Platz. Fast war es, als interessierten sich die Pflänzchen und
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