Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
Würzmispel und hunderten anderen Seltsamkeiten herumexperimentiert hatten. Sie hatten nicht nur Extrakte und Pulver gemischt, sondern auch Triebe aufeinander gepfropft, Arten gekreuzt und zahllose Rätselfrüchte gefunden, die die wunderlichsten Wirkungen haben konnten.
Einige davon waren so wunderlich, dass die Vilmer nicht in der Lage waren, einem Alleingebliebenen deutlich zu machen, worin genau die Wirkung bestand. Stummblinde konnten es manchmal einfach nicht verstehen.
»Was genau hatte Jona vor?«
»Lukaschik weiß es nicht.«
»Er wird doch nicht ...«
Harenbergh dachte nach.
Hatte Jona Gelegenheit gehabt, an dem Gift zu schnüffeln, das Tonja langsam umbrachte? War er in dem Zelt gewesen? Wann?
Er erinnerte sich daran, wie Jona die Mediziner wegen angeblicher Unfähigkeit zusammengestaucht hatte und vor Zorn die Kontrolle über sich verloren hatte. Da hatten sie alle auf Jona-A gestarrt und seinen unfassbaren Wutausbruch. Natürlich, in diesem Moment konnte Jona-J in das halbdurchsichtige Zeit geschlüpft sein, um an dem verseuchten Körper Tonjas zu schnuppern. Ob erster, zweiter oder fünfter Waschdurchlauf oder bis auf die Haut geschorenes Fell – das war egal. Rund um Tonja-J war immer noch reichlich von dem Zeug da.
Vor allem für einen Vilmer, der seine empfindliche Nase in das Sauerstoffzelt seiner sterbenden Freundin steckte und sich bemühte, möglichst viel von dem Giftstoff einzuatmen. Ein Vilmer, der mit seinem Menschenleib einen Wutausbruch schauspielerte, um von seinem wahnsinnigen Vorhaben abzulenken.
Harenbergh schüttelte sich.
Er sah direkt vor sich, wie Jona ins Gestrolch ging, zugedröhnt mit einem unbekannten Gift und einer Drogenkombination aus Rätselfrüchten, die ihm – seiner Meinung nach – den Weg zu einem Heilmittel weisen würde. Mit den unglaublichen Fähigkeiten der Vilmkinder versehen, sich in die innersten Vorgänge ihrer Welt hineinzudenken.
Konnte das funktionieren?
Er wusste es nicht.
Es zu versuchen, war komplett verrückt.
Harenbergh sah Lukaschik an und streckte seine Hand aus.
»Keine Ahnung, ob Jona das schaffen kann«, sagte er. »Aber wenn wir ihm helfen können, werden wir es tun. Weil du uns alles gesagt hast.«
Lukaschik kam aus seinem dunklen Versteck heraus und schüttelte sein Fell, während er seine Wange langsam in die ausgestreckte Hand des alten Mannes legte.
»Jona weit weg.«
»Ja.«
In der Welt der Vilmer mochte man Entfernungen in anderen Einheiten messen, aber auch sie wurden weniger fürchterlich, wenn man Gesellschaft hatte.
Aus Tonjas Mund drangen leise, schmerzerfüllte Geräusche. Adrian Harenbergh spürte eine kalte Furcht in seinem Inneren, als er eine Nachricht für Will absetzte.
15. Die gefundenen Regendrachen
Vincent wusste nicht so recht, wie es dazu gekommen war, aber er fand es völlig normal, dass es regnete und dass seine beiden Begleiter gleichzeitig sowohl neben als auch vor und hinter ihm sein konnten. Sein Leben vor der Reise auf den Regenplaneten schien sehr weit weg zu sein, blass und ausgekaut wie ein Gemüse, das zu lange gekocht worden war.
Atibon Legba?
War da was?
Diese Stadt im Weltraum, in der es niemals regnete? Was für eine grässliche Vorstellung. Vilm war so herrlich feucht und weit und tropfend. Momente ohne Regen, die es sehr selten gab, aber doch ab und zu, versetzten Vincent in eine schmerzhaft pochende Unruhe.
Augenblicke wie dieser hingegen waren schön. Weit hinter sich wusste er die wunderbar verwirrende Stadt mit ihren ineinander verschachtelten Wohnungen, Gängen und freiliegenden Balkonen, zwischen denen Wasser hinab lief, in Becken gesammelt wurde, durch Rohre gluckerte und plätschernd kleine Mühlräder antrieb. Über und zwischen den Gebäuden flatterten mitunter Wolkentaucher herum. Gestern erst hatte sich einer auf seine ausgestreckte Hand gesetzt, die er eine halbe Stunde lang in den Regen gehalten hatte. Das grazile Tier hatte mit seinen beiden kleinen Mäulchen ein bisschen an seinem Daumen herumgeknabbert, sich dann vor irgendetwas erschreckt und war mit einem halsbrecherischen Salto in die tief hängenden Wolken gestartet. Leider wollte kein einziger der Vilmer ihm dieses Erlebnis glauben. Wolkentaucher waren als scheu und unnahbar bekannt.
Vincent hatte sich vorgenommen, beim nächsten Mal eine Kamera aufzustellen.
Neben sich sah er Thans pelzige, nässetriefende Gestalt, die ebenso geschickt durch das Dickicht turnte, wie sie bei Reparaturen des immerzu ein
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