Virga 01 - Planet der Sonnen
grinste, dann zuckte sie die Achseln. »Aber es hat geklappt.«
Er lachte. »Kann ich helfen?«
Sie küsste ihn. »Es reicht, wenn du wachsam bist. Den Rest erledige ich.«
»Du kannst auch mir helfen«, sagte er ernst. Aubri zog eine Augenbraue hoch. »Eigentlich uns beiden«, fügte er hinzu. »Aubri … hast du jemals darüber nachgedacht, was du tun würdest, wenn du dich von dem Ding befreien könntest? Würdest du bleiben, oder würdest du fortgehen?«
Sie zögerte. »Bleiben«, sagte sie endlich. »Ich würde bleiben.«
Hayden seufzte. Dann nahm er sich kurz Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. »Auch ich habe einen Grund, Candesce zu betreten«, sagte er und beschrieb ihr seinen Plan, in Candesce Bauteile für eine Sonne zu suchen und nach Aerie zubringen. Er redete sich in Begeisterung. »Ich will das Werk meiner Eltern vollenden. Ich will am Rand des Winters eine neue Sonne entzünden, um die sich die Menschen von Aerie scharen können. Sie sollen Slipstream und den Rest von Meridian hinter sich lassen. Ich will mein Volk retten.«
Das hätte sich angehört wie ein vermessener, aussichtsloser Traum - hätten nicht seine Mutter und sein Vater genau diesen Traum so zuversichtlich verfolgt.
»Ich brauche einen Techniker«, sagte er. »Du wärst unbezahlbar.«
»Oh.« Sie wandte sich ab. »Ist das alles, was du von mir willst? Meine technischen Fähigkeiten?«
»Nein!« Lachend zog er sie an sich. »Mehr. Ich will viel mehr. Wir könnten gemeinsam eine neue Nation gründen, Aubri. Würde dich das nicht reizen?«
Sie umarmte ihn und drückte das Gesicht an seine Schulter. »Es gibt nichts«, murmelte sie, »was mich mehr reizen könnte.«
Sie schreckten beide aus dem Schlaf. Es war mitten in der Nacht, und in der Hütte herrschte tiefe Dunkelheit. Irgendwo weit in der Ferne hatte jemand geschrien.
»Hast du das gehört?«, fragte Hayden. Er spürte Aubris Nicken mehr, als dass er es sah. Beide lauschten eine Weile völlig regungslos; dann spürte er, wie sie sich entspannte.
»Vielleicht haust Venera doch nicht ganz so keusch mit Carrier zusammen, wie sie uns glauben machen will«, sagte sie.
»Pfui!«, protestierte Hayden. »So etwas sagt man nicht. Ich …« Er hielt inne, als ein langgezogener Klagelaut durch die Nacht schallte und die Hütte umfing.
Binnen einer Sekunde waren sie beide am Fenster und spähten ins Dunkel hinaus. »Das war kein Mensch«, bemerkte Aubri überflüssigerweise. Vor der Hütte war jedoch nichts zu sehen - überhaupt nichts, die Schwärze
war so undurchdringlich, wie Hayden sie nicht einmal im Winter jemals erlebt hatte. Er fragte sich kurz, ob die Hütte wohl irgendwo in die Tiefen von Leaf’s Choir zurückgeglitten sein könnte. Wie sollten sie es merken, bevor sie erstickten?
Der Schrei wiederholte sich, und diesmal wurde er vom Knacken zersplitternder Äste begleitet. Der Lärm steigerte sich - es hörte sich an, als würden ganze Bäume von einer gewaltigen Kraft beiseitegeschoben, die sich durch die Finsternis näherte. Die Hütte begann zu erzittern.
Und so plötzlich, wie es gekommen war, war es vorbei.
Sie blieben noch lange am Fenster, aber nichts weiter geschah. Nach etwa einer Stunde kam der Strahl einer Taschenlampe den Baumstamm heraufgehüpft, und Carrier und Venera tauchten auf. Beide hatten verkniffene Gesichter.
Carrier fiel gleich mit der Tür ins Haus. »Irgendeine Idee?«, fragte er. Hayden schüttelte den Kopf.
»Vielleicht sollten wir heute Nacht zusammenbleiben«, sagte er. Und dann, in jähem Schrecken: »Wo ist das Bike?«
Carrier schwenkte ein Stück Schnur, das Hayden bisher nicht bemerkt hatte. Es reichte in die Dunkelheit hinein. »Ich habe es mit herübergeschleppt«, sagte er. »Ich dachte, das sei ratsam.« Hayden nickte.
Lange saßen sie stumm in der kleinen Hütte beieinander und sahen sich an. »Das ist doch albern«, sagte Venera, nachdem sich das unbehagliche Schweigen über fünfzehn Minuten hingezogen hatte. »Wir müssen etwas tun. Zumindest reden.«
»Finde ich auch«, sagte Aubri.
Wieder war es lange still.
»Wir könnten uns Geschichten erzählen«, schlug Venera munter vor.
Alle starrten sie im schwachen Schein der Taschenlampe an. »Gespenstergeschichten«, erläuterte Venera, dann lachte sie. »Nun kommt schon. Kann man sich eine bessere Gelegenheit dafür vorstellen?«
Alle lachten, und ehe Hayden sich versah, war er mitten in der Geschichte von den schwarzen Piratensonnen und den seltsamen Ungeheuern,
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