Vom Kriege
Feldherr sich versuchen.
Hauptschwierigkeiten der Theorie des Kriegführens
Um die Schwierigkeit der Aufgabe, welche in einer Theorie der Kriegführung enthalten ist, deutlich zu übersehen und daraus den Charakter ableiten zu können, den eine solche Theorie haben muß, müssen wir auf die Haupteigentümlichkeiten, welche die Natur der kriegerischen Tätigkeit ausmachen, einen näheren Blick werfen.
Erste Eigentümlichkeit: geistige Kräfte und Wirkungen [Das feindselige Gefühl]
Die erste dieser Eigentümlichkeiten besteht in den geistigen Kräften und Wirkungen.
Kampf ist ursprünglich die Äußerung feindseliger Gefühle; es wird aber allerdings in unseren großen Kämpfen, die wir Krieg nennen, aus dem feindseligen Gefühl häufig nur eine feindselige Absicht, und es pflegt dem einzelnen wenigstens kein feindseliges Gefühl gegen den einzelnen beizuwohnen. Nichtsdestoweniger geht es nie ohne eine solche Gemütstätigkeit ab. Der Nationalhaß, an dem es auch bei unseren Kriegen selten fehlt, vertritt bei dem einzelnen gegen den einzelnen mehr oder weniger stark die individuelle Feindschaft. Wo aber auch dieser fehlt und anfangs keine Erbitterung war, entzündet sich das feindselige Gefühl an dem Kampfe selbst, denn eine Gewaltsamkeit, die jemand auf höhere Weisung an uns verübt, wird uns zur Vergeltung und Rache gegen ihn entflammen, früher noch, ehe wir es gegen die höhere Gewalt sein werden, die ihm gebietet, so zu handeln. Dies ist menschlich oder auch tierisch, wenn man will, aber es ist so. - Man ist in der Theorie sehr gewohnt, den Kampf wie ein abstraktes Abmessen der Kräfte ohne allen Anteil des Gemüts zu betrachten, und das ist einer der tausend Irrtümer, welche die Theorien ganz absichtlich begehen, weil sie die Folgen davon nicht einsehen.
Außer jener in der Natur des Kampfes selbst gegründeten Anregung der Gemütskräfte gibt es noch andere, die nicht wesentlich dazu gehören, aber sich der Verwandtschaft wegen leicht damit verbinden, wie Ehrgeiz, Herrschsucht, Begeisterung jeder Art usw.
Die Eindrücke der Gefahr [Der Mut]
Endlich gebiert der Kampf das Element der Gefahr, in welchem sich alle kriegerischen Tätigkeiten, wie der Vogel in der Luft und der Fisch im Wasser, erhalten und bewegen müssen. Die Wirkungen der Gefahr gehen aber alle auf das Gemüt entweder unmittelbar, also instinktmäßig, oder durch den Verstand über. Die erstere würde das Bestreben sein, sich ihr zu entziehen, und, insofern dies nicht geschehen kann, Furcht und Angst. Wenn diese Wirkung nicht entsteht, so ist es der Mut, welcher jenem Instinkt das Gleichgewicht hält. Der Mut aber ist keineswegs ein Akt des Verstandes, sondern ebenfalls ein Gefühl wie die Furcht; diese ist auf die physische Erhaltung, der Mut auf die moralische gerichtet. Der Mut ist ein edlerer Instinkt. Weil er aber das ist, so läßt er sich nicht wie ein lebloses Instrument gebrauchen, was seine Wirkungen im genau vorgeschriebenen Maße äußert. Der Mut ist also kein bloßes Gegengewicht der Gefahr, um diese in ihren Wirkungen zu neutralisieren, sondern eine eigentümliche Größe.
[107] Umfang des Einflusses, welchen die Gefahr übt
Um aber den Einfluß der Gefahr auf die im Kriege Handelnden richtig zu würdigen, muß man ihren Bereich nicht auf die physische Gefahr des Augenblickes beschränken. Sie beherrscht den Handelnden nicht bloß, indem sie ihn bedroht, sondern auch durch die Bedrohung aller ihm Anvertrauten; nicht bloß in dem Augenblick, wo sie wirklich vorhanden ist, sondern durch die Vorstellung auch in allen andern, die zu diesem Augenblick eine Beziehung haben; endlich nicht bloß unmittelbar durch sich selbst, sondern auch mittelbar durch die Verantwortlichkeit, die sie mit zehnfachem Gewicht auf dem Geist des Handelnden lasten läßt. Wer könnte eine große Schlacht anraten oder beschließen, ohne daß der Geist sich mehr oder weniger gespannt oder betroffen fühlte von der Gefahr und Verantwortlichkeit, die ein solcher großer Entscheidungsakt in sich trägt! Man kann sagen, daß das Handeln im Kriege, insofern es ein wirkliches Handeln, nicht ein bloßes Dasein ist, nie ganz aus dem Bereich der Gefahr hinaustritt.
Andere Gemütskräfte
Wenn wir diese durch Feindschaft und Gefahr aufgeregten Gemütskräfte als dem Kriege eigentümlich betrachten, so schließen wir alle anderen den Menschen auf seinem Lebenswege begleitenden nicht davon aus; sie werden auch hier häufig genug Platz finden. Zwar darf man
Weitere Kostenlose Bücher