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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wir wollten nach Südspanien. Doch in der Nähe von Barcelona gab der Wagen den Geist auf. Ich glaube, wir hatten fünfhundert Kronen dafür bezahlt. Wir ließen ihn in einem staubigen Dorf stehen und nahmen einen Bus nach Barcelona. An die folgenden vierzehn Tage habe ich nur sehr vage Erinnerungen. Ich habe meinen Freund gefragt, aber er hatte womöglich noch weniger Erinnerungen als ich. Wir haben ununterbrochen gesoffen, von morgens bis abends. Abgesehen von ein paar Huren kann ich mich nicht erinnern, daß wir je in die Nähe der schönen Carmencitas kamen, von denen wir geträumt hatten. Als das Geld zur Neige ging, sind wir schließlich nach Schweden zurückgetrampt. Diesen Stier, den kaufte ich, kurz bevor wir Spanien verließen. Ich hatte vor, ihn Mona zu schenken. Aber sie war so böse auf mich, daß ich ihn ihr nie schenkte. Ich fand ihn in einer Schublade, als wir uns trennten. Da nahm ich ihn mit hierher. Und jetzt ist er kaputt. Vielleicht ist es richtig so.«
    Er verstummte. Linda hatte das Gefühl, daß die Geschichte noch nicht zu Ende war.
    »Der Freund damals, das war Sten Widen«, sagte er. »Jetzt stirbt er an Krebs, und der schwarze Stier geht kaputt.«
    Linda wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie schwiegen beide. Sie versuchte, sich ihn vor dreißig Jahren vorzustellen, kurz bevor sie geboren wurde. Damals hat er wohl mehr gelacht, dachte sie. Ein Glück, daß ich nicht so trübsinnig geworden bin wie er.
    Kurt Wallander stand auf. »Du hast recht. Wir brauchen Schlaf. Ich brauche Schlaf. Es ist schon Mitternacht.«
    Es klopfte an der Tür. Einer der Kollegen aus der Notrufzentrale kam herein. »Dies ist gerade gekommen«, sagte er.
    Er reichte Kurt Wallander ein Fax.
    »Aus Kopenhagen. Jemand mit Namen Knud Pedersen.«
    »Ja, den kenne ich.«
    Der Polizist ging. Lindas Vater überflog das Fax, setzte sich dann aber auf den Tisch und las es gründlich. Linda sah ihm an, daß es wichtig war.
    »Eigentümlich«, sagte er. »Knud Pedersen, den ich seit langem kenne, ist ein wacher Polizist. Sie haben dort einen Mordfall, eine Prostituierte, Sylvi Rasmussen. Ihr wurde das Genick gebrochen. Das Seltsame war, daß sie die Hände gefaltet hatte wie zum Gebet. Sie waren nicht abgeschlagen. Aber Pedersen, der davon gelesen hat, womit wir es hier zu tun haben, dachte, ich sollte das wissen.«
    Er ließ das Fax auf den Schreibtisch fallen. »Wieder Kopenhagen«, sagte er.
    Linda wollte noch eine Frage stellen. Er hob die Hand. »Wir müssen schlafen«, sagte er. »Müde Polizisten geben denen, die sie jagen, immer einen unnötigen Vorsprung.«
    Sie verließen das Polizeipräsidium.
    Kurt Wallander schlug vor, zu Fuß nach Hause zu gehen. »Laß uns über etwas ganz anderes reden«, sagte er. »Etwas, was die Gedanken reinigt.«
    Sie gingen nach Hause in die Mariagata, ohne ein einziges Wort zueinander zu sagen.
    Jedesmal wenn er seine Tochter sah, war ihm, als würde ihm plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen, er begann zu fallen, und es konnte Minuten dauern, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
    Bilder aus seinem früheren Leben flimmerten in seinem Gehirn vorüber. Er hatte schon in Cleveland beschlossen, sein Leben als in drei Phasen eingeteilt zu betrachten, oder Räume vielleicht, die voneinander getrennt waren. Das erste Leben war die Zeit, bevor er aufgebrochen war und alles hinter sich ließ. Er nannte es selbst die Zeit der Leere, es war vor seiner Begegnung mit dem gefallenen Engel, den er für Gott gehalten hatte. Das zweite Leben, die Zeit des gefallenen Engels, waren die Jahre, in denen er Jim Jones auf der Auswanderung ins Paradies gefolgt war, das im Dschungel von Guyana wartete. Da war die Leere durch eine zur Wahrheit verkleidete Lüge ersetzt worden. Dann folgte die Zeit, in der er sich jetzt befand, die wahre Zeit, die bald vollendet werden sollte. Gott hatte ihn auf die Probe gestellt und ihn für würdig befunden, die Wahrheit wiederaufzurichten.
    Für gewöhnlich trug er die Erinnerung an all das, was gewesen war, mit einer großen Ruhe. Er kontrollierte, häufig seinen Puls, und der war immer gleich, wie erregt er auch sein mochte. ›Wie das federbekleidete Tier sollst du den Haß und die Lüge und den Zorn von dir abschütteln‹, hatte Gott in einem Traum zu ihm gesagt. Nur wenn er seine Tochter traf, überkam ihn Schwäche. Wenn er sie vor sich sah, traten auch die anderen Gesichter vor sein inneres Auge. Vor allem Maria und das Kind. Die in dem

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