Vorkosigan 11 Spiegeltanz
war, der sich da meldete.« Ihre Lippen zuckten.
»Warum nicht? Oder meldete sich auch Ihr unwiderstehlicher Drang?«
»Nein, ich brauchte vier oder fünf weitere Tage, bis ich so richtig vernarrt in ihn war. Na ja, drei Tage auf jeden Fall.« Ihre Augen 368
funkelten bei diesen Erinnerungen. »Ich wünschte mir, du hättest ihn damals sehen können, in seinen Vierzigern. In seinen besten Jahren.«
Genau in dieser Bibliothek hatte Mark heimlich mitgehört, wie die Gräfin ihn mit Worten sezierte. Es lag etwas seltsam Tröstliches in dem Wissen, daß ihr Skalpell nicht für ihn allein reserviert war. Nicht nur mich. Sie seziert alle. Grrr.
»Sie sind … sehr offen, Madame. Was hat Miles darüber gedacht?«
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Er hat mich nie danach gefragt. Es ist möglich, daß diese unglückliche Periode in Arals Jugend Miles erst als verdrehte Verleumdungen von Arals politischen Feinden zu Ohren kam und von ihm nur mit Vorbehalten aufgenommen wurde.«
»Warum erzählen Sie es mir?«
»Du hast danach gefragt. Du bist ein Erwachsener. Und … du hast ein größeres Bedürfnis, es zu wissen. Wegen Galen. Wenn die Sache zwischen dir und Aral je in Ordnung kommen soll, dann sollte dein Bild von ihm weder fälschlich überhöht noch fälschlich verzerrt sein. Aral ist ein großer Mann. Ich, eine Betanerin, sage das, aber ich verwechsle Größe nicht mit Vollkommenheit. Auf irgendeine Art und Weise groß zu sein ist… die größere Leistung.«
Sie lächelte ihm schelmisch zu. »Das sollte dir doch Hoffnung geben, oder?«
»Huch. Mich bei der Flucht blockieren, meinen Sie doch. Wollen Sie damit sagen, daß Sie – egal, wie sehr ich alles vermasselt habe
– immer noch von mir Wunder erwarten?« Schrecklich.
Sie überlegte. »Ja«, sagte sie gelassen. »Da in der Tat niemand vollkommen ist, folgt daraus, daß alle großen Taten aus der Un369
vollkommenheit heraus vollbracht werden. Doch irgendwie wurden sie trotzdem vollbracht.«
Nicht nur sein Vater hatte Miles verrückt gemacht, entschied Mark. »Ich habe Sie nie sich selber analysieren hören, Madame«, sagte er säuerlich. Ja, wer rasierte eigentlich den Barbier?
»Mich?« Sie lächelte düster. »Ich bin eine Närrin, mein Junge.«
Sie wich der Frage aus. Oder doch nicht? »Eine Närrin aus Liebe?«, sagte er leichthin, im Bemühen, der plötzlichen Peinlichkeit zu entrinnen, die seine Frage verursacht hatte.
»Und aus anderen Dingen.« Ihr Blick wurde frostig.
Eine feuchte, neblige Dämmerung sank über die Stadt herab und hüllte sie ein, als die Gräfin und Mark zur Kaiserlichen Residenz gefahren wurden. Pym, prächtig livriert und wie aus dem Ei gepellt, chauffierte den Bodenwagen. Ein weiteres halbes Dutzend der Gefolgsleute des Grafen begleiteten sie in einem weiteren Fahrzeug, nach Marks Meinung mehr als Ehrenwache denn als Leibwächter. Sie schienen sich auf die Feier zu freuen. Auf einen seiner Kommentare hin bemerkte die Gräfin: »Ja, das ist eher ein freier Abend für sie als gewöhnlicher Dienst. Der Sicherheitsdienst wird die Residenz vollkommen in der Hand haben. Bei solchen Gelegenheiten gibt es eine ganze parallele Untergesellschaft an Dienern – und es ist schon vorkgekommen, daß ein Gefolgsmann mit guten Manieren das Auge einer jungen Vor-Blüte gefesselt und sich hinaufgeheiratet hat, sofern sein militärischer Werdegang gut genug war.«
Sie kam an dem kaiserlichen Gebäudekomplex an, der seiner Architektur nach anmutete wie Palais Vorkosigan mal acht. Sie eilten aus dem dichten Nebel in das warme, strahlend erleuchtete Innere. Mark entdeckte, daß die Gräfin sich formell an seinem linken Arm eingehängt hatte, was erschreckend und beruhigend 370
zugleich war. War er der Begleiter oder das Anhängsel? Egal, er zog den Bauch ein und straffte sein Rückgrat, so gut er konnte.
Mark war überrascht, als die erste Person, der sie im Vestibül begegneten, sich als Simon Illyan entpuppte.
Der Sicherheitschef war für den Anlaß in die rotblaue kaiserliche Paradeuniform gekleidet, die seine schlanke Gestalt nicht gerade unauffällig machte. Allerdings waren vielleicht genügend andere RotBlaue da, unter die er sich mischen konnte. Nur trug Illyan echte tödliche Waffen an seiner Seite, einen Plasmabogen und einen Nervendisruptor in Halftern, die ziemlich gebraucht aussahen, und nicht die stumpf gemachten Paradedoppelschwerter der Vor-Offiziere. Ein übergroßer Audiohörer glitzerte in seinem rechten
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