Vorsatz und Begierde (German Edition)
gegen sieben. Sie kam von Zeit zu Zeit immer mal rein. Hat allerdings nie viel getrunken, höchstens ein, zwei trockene Sherrys. Saß immer da drüben, am Kamin.«
»Allein?«
»Gewöhnlich ja. Ein- oder zweimal mit Dr. Mair. An jenem Dienstag aber war sie allein.«
»Was hat sie getan, als sie das Porträt sah?«
»Hat da gestanden und es angestarrt. Im Pub war es zu der Zeit ziemlich voll, aber plötzlich wurden alle still. Sie wissen schon, wie das so ist. Sie wurde von allen beobachtet. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen; sie stand mit dem Rücken zu mir. Dann ging sie rüber zur Bar und sagte: ›Von nun an werde ich hier nie mehr etwas trinken. Offensichtlich mögen Sie keine Gäste von Larksoken.‹ Dann ging sie raus. Also, mir sind Gäste von überall her willkommen, wenn sie Alkohol vertragen und nicht anschreiben lassen, aber für mich war sie kein großer Verlust.«
»Sie war also nicht besonders beliebt auf der Landzunge?«
»Von der Landzunge weiß ich nichts. Sie war in diesem Pub nicht besonders beliebt.«
»Intrigiert hat sie, um die Blaneys aus Scudder’s Cottage zu vertreiben«, mischte sich Doris Jago ein. »Wo Ryan doch Witwer ist und vier Kinder großziehen muß. Was glaubte die wohl, was der tun sollte? Kriegt zwar Familienunterstützung und Zuschüsse von der Wohlfahrt, aber ein anderes Cottage findet er damit auch nicht. Trotzdem tut es mir natürlich leid, daß sie tot ist. Ich meine, das ist doch normal, nicht wahr? So was würde man seinem ärgsten Feind doch nicht wünschen. Wir werden einen Kranz vom Local Hero schicken.«
»Haben Sie sie da zum letztenmal gesehen?«
»George hat sie da zum letztenmal gesehen. Ich habe sie noch am Sonntag auf der Landzunge gesehen. Kann nur ein paar Stunden vor ihrem Tod gewesen sein. Vielleicht bin ich die letzte, die sie lebend gesehen hat, hab ich zu George gesagt, na ja, ich und Neil Pascoe und Amy. An so was denkt man dann ja nicht – oder? Wir können nicht in die Zukunft blicken, und das will man ja auch nicht. Manchmal seh ich mir dieses Kraftwerk an und frage mich, ob wir nicht eines Tages allesamt als Leichen am Strand liegen.«
Wieso sie auf der Landzunge gewesen sei, wollte Oliphant wissen.
»Das Kirchenblättchen mußte ich austragen. Das mach ich immer am letzten Sonntagnachmittag im Monat. Ich hole sie nach dem Vormittagsgottesdienst und trage sie nach dem Dinner aus. Für Sie vielleicht Lunch, aber wir nennen es Dinner.«
Rikkards hatte die Hauptmahlzeit sein Leben lang Dinner genannt und tat es immer noch, obwohl seine Schwiegermutter ständig versuchte, seinen gesellschaftlichen Status zu heben. Für sie war das Mittagessen ein Luncheon und das Abendessen ein Dinner, auch wenn es, wie so oft, nur aus Sardinen auf Toast bestand. Er fragte sich, was sie heute gegessen hatte. Laut sagte er: »Ich wußte gar nicht, daß die Bewohner der Landzunge Kirchgänger sind – von den Copleys natürlich abgesehen.«
»Und von Mrs. Dennison. Die kommt ziemlich regelmäßig. Von den anderen kann ich nicht behaupten, daß sie tatsächlich zur Kirche gehen, das heißt, richtig am Gottesdienst teilnehmen, aber sie halten immerhin das Kirchenblatt.« Mrs. Jagos Ton deutete an, daß es Abgründe von Religionslosigkeit gebe, in die nicht mal die Leute von der Landzunge hinabsinken würden. »Bis auf die Blaneys natürlich«, fuhr Mrs. Jago fort. »Na ja, wo sie doch römisch-katholisch sind. Jedenfalls war sie römisch-katholisch, die arme Seele, und die Kinder sind es natürlich auch. Ich meine, das müssen sie ja wohl, nicht wahr? Ryan ist, glaube ich, überhaupt nichts. Der ist nur Künstler. Ich hab noch nie ein Blatt zu Scudder’s Cottage gebracht, nicht mal, als seine Frau noch lebte. Außerdem haben die Katholiken sowieso kein Kirchenblättchen.«
George Jago widersprach: »Das würde ich nicht sagen, Doris. So weit würde ich nicht gehen. Vielleicht haben sie doch eins.«
»Wir leben hier nun schon vier ganze Jahre, George, und Pfarrer McKee ist oft genug bei uns in der Bar, aber gesehen hab ich bis jetzt noch keins.«
»Na ja, woher auch, nicht wahr?«
»Ich hätte es bestimmt gesehen, George, wenn es eins gäbe. Die sind anders als wir. Weder Erntedankfest noch Gemeindeblatt.«
»Sie sind anders, weil sie ein anderes Dogma haben. Das kommt alles nur von den Dogmas, Doris. Mit dem Erntedankfest und dem Kirchenblättchen hat das überhaupt nichts zu tun.«
»Ich weiß, daß es von den Dogmas kommt. Der Papst erzählt
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