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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Schwester Datura ihren Griff lockerte, verschmolz Nachtschatten mit dem Wasser. Ihr schwankendes Spiegelbild liebkoste sie kühl.
    Sie blickte hinauf in ihr eigenes, über dem Wasser verschwimmendes Gesicht, und gleichzeitig sah sie tief hinunter. Hinunter, hinunter durch das Tor in die leuchtend helle Dunkelheit des Quells der Ahnen. Sie bereitete sich zum Eintauchen vor und trieb die Farben ihres Spiegelbilds auseinander wie ein warmer Herbstwind die bunten Blätter.
    Flechte erwachte jäh und starrte erschrocken in das goldene Licht, das in das Zimmer fiel.
    »Morgendämmerung«, wisperte sie.
    Im Traum hatte sie mit Fliegenfänger Ring-und-Stock gespielt - bei diesem Spiel warf man einen durchbohrten Knochen hoch in die Luft und versuchte, ihn mit einem angespitzten Stock aufzufangen.
    Plötzlich hatte eine unbekannte Frau ihren Namen gerufen. Flechte hatte es so deutlich gehört, als sei der Ruf wirklich und von dieser Welt.
    Sie lauschte angestrengt, doch nur das klagende Heulen eines Kojoten in der Ferne störte die Morgenstille.
    Sie kuschelte sich tiefer in die kostbare Bisondecke ihre Mutter hatte die Decke von einem Händler als Dank für eine Gesundbetung geschenkt bekommen und blinzelte hinauf zu den Kastanienholzfählen der Zimmerdecke. Der Pfosten ganz rechts, genau über ihrem Kopf, hatte einen großen, in die nächste Pfahlreihe ragenden Astknoten, der das ganze Dach auf dieser Seite kaum merklich anhob und so eine leichte Schräge erzeugte. Hier und da baumelten Adlerfederbüschel herab, jedes bedeutete eine inständige Bitte für die Genesung eines Kranken oder für die gesunde Rückkehr eines Jägers. Die Büschel drehten sich langsam in der kühlen, durch den Raum ziehenden Brise.
    Flechte gähnte träge. Wer könnte nach ihr gerufen haben? Ihr Blick schweifte über die miteinander verbundenen Reihen der auf die Lehmwände gemalten gelben Spinnen, deren rote Augen in dem durch das Fenster hereinfallenden Licht glühten. Sie hatte die Stimme nicht gekannt. Das erschreckte sie. Die Stimme mußte von weit her gekommen sein.
    Flechtes Blick folgte den gelben Spinnen bis zu der Wandnische am Fußende des Bettes ihrer Mutter.
    Der winzige schwarze Steinwolf, leuchtend wie ein Stückchen flüssigen Obsidians, starrte sie an.
    Sie schlüpfte tiefer unter ihre Decke und lugte über den Rand des schwarzen Bisonfells zu dem Wolf hinüber. Sollte sie versuchen, mit ihm zu sprechen? Wanderer hatte gesagt, sie solle es tun.
    Aber der Steinwolf jagte ihr Angst ein. Ihre Mutter hatte ihr verboten, ihn zu berühren, weil die dem Wolf innewohnende Macht Flechte töten könne. Flechte war allerdings zutiefst davon überzeugt, er könne sie auch töten, ohne daß sie ihn anfaßte. Sie fühlte im ganzen Raum die prickelnde Gegenwart seiner Macht wie kribbelnde Grillenbeine auf ihrem Arm.
    Tapfer schob sie die Decke ein wenig nach unten und blickte dem Steinwolf direkt ins Gesicht. »Weißt du, wer mich gerufen hat?« fragte sie. »Kannst du mir etwas über den Traum sagen, den ich vor zwei Tagen gehabt habe?«
    Deutlich spürte sie, wie die Macht wuchs. Flechte glaubte, etwas zu hören. Es klang wie das schwache Grollen einer nahenden Flut, die das Antlitz des Landes machtvoll überschwemmte. Angst packte sie.
    Sie schluckte hart und versteckte sich zitternd unter ihrer Decke. In der Dunkelheit hörte sie, wie sich ihre Mutter bewegte. Ein Ellenbogen schlug dumpf gegen die Wand, dann ertönte die verschlafene Stimme ihrer Mutter: »Flechte? Hast du etwas gesagt?«
    »Ja!« Sie warf die Decke beiseite und eilte quer durch den Raum. Die Kälte des harten Lehmbodens biß schneidend in ihre bloßen Füße. »Ich habe Angst!«
    Wühlmaus setzte sich in ihrem Bett auf, strich die langen schwarzen Haare zurück und hob die Decken, damit Flechte darunterkriechen konnte. Ihre Tochter krabbelte auf das schmale Bettpodest und schmiegte sich eng an ihre Mutter. Sie fühlte sich endlich geborgen und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. »Wovor hattest du Angst, Flechte?« »Vor dem Steinwolf. Er hat mich angesehen.« »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Heute morgen ist alles ruhig.«
    Flechte runzelte die Stirn, drehte den Kopf und blickte in das vertraute runde Gesicht mit den vollen Lippen und der leichten Hakennase. Skeptisch sah sie ihre Mutter an. »Hast du die Macht nicht gespürt?«
    »Nein. Ich habe gar nichts gespürt. Vielleicht hast du geträumt.« Flechte hielt den Mund. Sie fühlte die Macht immer

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