VT04 - Zwischen Leben und Sterben
in die Zufahrt zur Schule eingebogen. Vier oder fünf Einsatzfahrzeuge stauten sich an der Einmündung. Notarztwagen und Feuerwehr. Sie kamen nicht durch bis zur Brandstelle.
Percival ging zurück, um dem Mann hinterher zu sehen. Die Sporthalle brannte lichterloh. Auf dem Schulgelände war nun tatsächlich die Hölle los. Der Mann blieb stehen und sah sich nach einem Fahrzeug um, aus dem heraus ihm jemand zuwinkte.
***
Durch einen Stau auf der Autobahn verpasste van der Groot die Verabredung mit dem Kölner und seinem Anhang. Vor der Bahnhofsbuchhandlung, wo sie sich treffen wollten, wartete niemand mehr.
Van der Groot nahm ein Taxi und ließ sich zu einer Festhalle außerhalb der Stadt fahren, weil dort ein Rockkonzert stattfand. Es war nicht das Konzert, das sein Bewerber besuchen wollte. Das Taxi, das er rief, um ihn zurück in die Stadt zu bringen, ließ eine halbe Stunde lang auf sich warten.
Eine aufregende Zeit lag hinter ihm. Das Treffen mit Nick Teller in Brüssel hatte ihn einen entscheidenden Schritt weiter gebracht. Teller hatte ihm eine lückenlose Dokumentation der ITH-Entwicklung überlassen, die er aus dem Computer der NASA kopiert hatte; dazu die genaue chemische Zusammensetzung nebst wertvollen Informationen über das Herstellungsverfahren – und sage und schreibe neunhundert Gramm der Bergmann-Variante.
Tellers Preis war hoch: Dreißig Prozent künftiger Einnahmen aus dem Verkauf von ITH, zwanzig Prozent aus möglichen Verkäufen einer ausgereiften Form der Bergmann-Variante und eine Millionen Dollar Vorschuss.
Ohne Zögern hatte van der Groot den Vertrag unterschrieben und bezahlt. Um den Betrag zu finanzieren, musste er eine Hypothek auf seine beiden Häuser in Amsterdam aufnehmen.
Die Investitionen in seine Scheinfirma in Wassenberg und in die Laboreinrichtungen dort mitgerechnet, hatte er mittlerweile die Hälfte seines Vermögens in das Unternehmen investiert. Ein Jahr lang etwa würde er einen oder zwei Mitarbeiter noch bezahlen können. Doch spätestens ab Anfang 2011 musste er Gewinne schreiben. Sonst würde er unweigerlich Bankrott gehen.
Das Taxi kam, und als van der Groot dann endlich die Schule erreichte, in deren Sporthalle die Firegods spielten – Vranitzki hatte ihm den Namen der Band gemailt – brannte es auf dem Schulgelände. Fassungslos beobachtete van der Groot die in Panik fliehenden Menschen. Ein Mann, der ihm viel zu alt für so ein Konzert erschien, rempelte ihn an.
Wie in Trance lief er an der Blechlawine vorbei, die den Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr und der Unfallrettung den Weg zur brennenden Halle versperrten. »Firegods«, murmelte er, während er den Schein der Flammen im Nachthimmel sah. »Firegods…«
Auf der anderen Seite des Zufahrtsweges stand ein schwarzer Kleinbus. Eine Menschentraube hatte sich um ihn versammelt, vor allem junge Frauen. Sie trugen weite schwarze Umhänge oder zerlumpte Mäntel, Kleider und Netzstrümpfe. Einige sahen wie Totengräber aus, andere erinnerten an Vampire, wie sie in den Büchern dargestellt wurden, die van der Groot in seiner frühen Jugend gelesen hatte. Alle machten sie ein großes Geschrei, einige rauften sich die Haare.
Kein Wunder, wenn man aus so einer Hölle entkommt, dachte van der Groot. Die hemmungslose Art ihres Geschreis machte ihn stutzig, und er blieb stehen und blickte über die Autodächer der vorbei kriechenden Kolonne hinweg zu ihnen hinüber.
Das Hausmacherdesign des Kleinbusses erinnerte ein wenig an ein Reptil. Seine Seitentür stand offen, und vor ihr drängelten sich die schreienden Mädchen und Frauen. Zwei Männer liefen zu ihnen, einer schaltete einen Handscheinwerfer ein, den er wohl aus seinem Wagen geholt hatte. Die Frauen wichen zur Seite, und der Strahl des Scheinwerfers fiel ins Wageninnere.
Van der Groot sah einen Knäuel Decken, sah Haar, sah einen Schädel. Einer der Männer beugte sich vor, ein großer Jeep verdeckte ein paar Sekunden lang die Sicht auf die andere Straßenseite. Als er vorbeigerollt war, sah van der Groot einen weit aufgerissenen Frauenmund, nackte Brüste und zerschnittene Haut.
»Gott im Himmel…«, flüsterte er und holte tief Luft. Die Tote hatte die Augen weit aufgerissen, und in ihrer Kehle klaffte ein schwarzroter Spalt. Van der Groot wandte sich schaudernd ab.
Ein weniger realistisches Gemüt als er hätte die Ermordete für ein schlechtes Omen gehalten. Doch der Professor aus Amsterdam glaubte nicht an gute oder schlechte Omen, an günstige oder
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