Wärst du doch hier
Probealarm. Aber er wusste, dass er nicht wieder weinen sollte, nicht vor Ellie. Einmal reichte, und auch da hatte er sich kurz gefasst. Es hatte nicht geholfen. Es half sowieso nicht.
Also hatte er nicht geweint, aber es hatte ihn einige Anstrengung gekostet. Er sah zu Ellie hinüber, die seltsamerweise an der Haustür stehen geblieben war, mit dem Rücken zur Tür, als stünde etwas Schlechtes davor, während sie gleichzeitig so aussah, als müsste sie innerlich mit etwas ringen. Vielleicht kamen der eigentliche Schock und die Wahrheit von allem erst jetzt bei ihnen an. Aber er stand nicht auf, um zu ihr zu gehen. Er wusste, seit der Brief gekommen war, stand etwas zwischen ihnen. Ein Brief reichte dazu aus. Und jetzt stand eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Wenn er auf Ellie zuging, würde er gegen diese Wand prallen.
Sie lauschten beide, als Major Richards das Auto anließ, wendete und auf der Straße nach Holn davonfuhr.Die ganze Zeit hatte Ellie in dieser seltsamen Haltung an der Tür gestanden. Er hatte gedacht: Weint sie jetzt gleich? Weint sie endlich um Tom, sodass ich es nicht tun muss? Aber sie hatte nicht geweint, da nicht, und auch später nicht, an den darauffolgenden Tagen, und als Major Richards am nächsten Tag wieder anrief, hatte Ellie abgenommen und den Hörer praktisch gleich an Jack gegeben, als wäre es eine Angelegenheit, mit der sie nichts zu tun hatte. »Major Richards«, sagte sie, als hätte Jack jetzt hochrangige Freunde.
Major Richards hatte Jack berichtet, er könne jetzt bestätigen, dass die Repatriierung von Corporal Luxton, zusammen mit den zwei Kameraden, die mit ihm gestorben waren, am folgenden Donnerstag stattfinden würde. Er hatte den Namen einer Luftwaffenbasis angegeben, von der Jack schon gehört hatte, ohne dass er hätte sagen können, dass sie in Oxfordshire lag. Major Richards hatte außerdem erklärt, weil sich die Repatriierung ungewöhnlich verzögert habe (wobei er nicht hinzufügte, dass diese Verzögerung aufgrund der Schwierigkeit, den nächsten Angehörigen von Corporal Luxton ausfindig zu machen, entstanden sei) und weil inzwischen eine eingehende Obduktion vor Ort vorgenommen worden sei, würde der Gerichtsmediziner in Oxfordshire, sobald er Kenntnis von dem MO D-Bericht erhalten und sich über die Fakten ins Bild gesetzt habe, die Gefallenen umgehend freigeben. Anders gesagt, eine gerichtliche Untersuchung würde bei Ankunft des Repatriierungsfluges formell eröffnet und gleich wieder geschlossen, sodass die sterblichen Überreste unmittelbar an die entsprechenden Beerdigungsinstitute überführt werden könnten.
Major Richards wies darauf hin, dass dies – nämlich dass eine nicht-militärische Behörde die Ergebnisse einer militärischen Behörde anerkannte – seiner Erfahrung nach ganz außergewöhnlich sei, und schien mit seinem Tonfall anzudeuten, dass Jack dafür eigentlich dankbar sein müsse. Jack, der seine eigenen Erfahrungen mit Gerichtsmedizinern und Obduktionen hatte, fand dies nicht außergewöhnlich. Oder vielmehr fand er, dass mittlerweile alles so außergewöhnlich war, dass das Außergewöhnliche zur Norm geworden war.
Anders als sonst musste Major Richards nicht erklären, dass die nächsten Angehörigen das Recht hatten, ihren Angehörigen zu sehen, solange er in der Obhut des Gerichtsmediziners war – wobei er oft gleichzeitig durchblicken ließ, dass dies nicht als Empfehlung aufzufassen sei. In dem gegenwärtigen Fall sei das eine Sache zwischen Jack und dem bestellten Beerdigungsinstitut. Aber Major Richards hoffte, es sei Jack nie in den Sinn gekommen.
So wie es jetzt aussah, war Jack jetzt frei, die Bestattung von Corporal Luxton zu planen – bei der er natürlich auf volle Unterstützung rechnen konnte. Für den Fall, dass Jack diese letzte Bemerkung nicht verstanden hatte, erläuterte Major Richards, dass Jack sich zwischen einer privaten Beerdigung und einer Bestattung mit militärischen Ehren entscheiden müsse. Das könne eingerichtet werden. In jedem Fall müsse ein Bestattungswagen den Sarg nach der Zeremonie am Luftstützpunkt in Empfang nehmen, und die Kosten für diesen Transport sowie die Reisekosten für Jack und seine Frau, würden von der Armee übernommen.
Jack war (nach einigen Momenten des Schweigens) unwillkürlich das Wort Devon entfahren. Die Bestattung würde in Devon stattfinden. Sogar den Namen eines Bestattungsunternehmers hatte er parat – denn so begrenzt Jacks Kenntnisse in
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