Waffenschwestern
Tages ein kühlerer Wind durch die Türen und Fenster und trug den Geruch von erntereifen Feldern herein.
Und von irgendwas – irgendwas Vertrautem. Brun rutschte auf ihrem Stuhl herum; die Babys bewegten sich. Eines verlor die Brustwarze aus dem Mund und wimmerte. Ohne es richtig zu merken, schob Brun es wieder in Position. Etwas – was war es?
Sie döste erneut, erwachte aber bei der nächsten frischen Bö.
Eichenblätter, Stoppelfelder. Wäre sie jetzt zu Hause gewesen, die Jagd. Und plötzlich brachen die vollen Erinnerungen über sie herein: Der Eröffnungstag mit allen drei Jagdmeuten, vor dem großen Haus versammelt, das Trappeln von Pferdehufen, das Hecheln und Jaulen von Hunden, Gläscrklirren, die
Stimmen … aber sogar in der eigenen Vorstellungskraft erlebte sich Brun als stumm, unfähig, auf die Grüße zu antworten. Sie blickte in die erschrockenen, missbilligenden Gesichter ihrer Freunde … und stand dabei barfuß auf dem scharfen Kies, wäh-371
rend alle anderen auf großen Pferden saßen, die mit ihren festen Hufen unweit ihrer nackten Füße aufstampften …
Sie würde nie nach Hause zurückkehren. Ihre Gedanken
rutschten wieder die alte Spirale der Depression hinab … aber stoppten diesmal vor der Dunkelheit. Nein! Sie war jung, ein langes Leben lag vor ihr. Lady Cecelia hatte ohne Stimme überlebt und war obendrein blind und gelähmt gewesen.
Schließlich war Hilfe eingetroffen; sie selbst, Brun, hatte an dieser Hilfe mitgewirkt. Irgendwo waren Menschen damit
beschäftigt, Hilfe für sie zu planen. Darauf musste sie vertrauen; sie musste daran glauben, dass ihre Familie und ihre Freunde sie nicht für immer hier allein zurückließen. Bislang hatte sie überlebt; sie hatte ohne erwähnenswerte medizinische Hilfe Zwillinge zur Welt gebracht und überlebt … sie würde
weiterhin überleben und irgendwann wieder auf die Jagd gehen.
Sie würde von neuem reiten; sie würde sprechen, und diejenigen die sie zum Schweigen gebracht hatten würden zuhören. Sie hob den Kopf.
»So ist es gut«, sagte die Heimleiterin, die herauskam und Brun die Schulter tätschelte. »Viele Mütter fühlen sich nach der Geburt traurig, besonders nach Zwillingen. Aber jetzt geht es dir besser. Jetzt kommst du wieder in Ordnung.«
Sie fühlte sich nicht okay, aber konnte es irgendwann wieder
… vielleicht. Brun kämpfte die Dunkelheit nieder und zwang sich, wieder mit dem Leben zu beginnen. Am nächsten Tag streckte sie die Hände nach den Babys aus, als man sie ihr brachte. Sie wusste nicht mal, was sie waren … Sie kannte nicht nur den Vater nicht, sondern wusste nicht, ob es Jungen oder Mädchen waren. Sie sah hin. Jungen. Beides Jungen … einer mit blass orangefarbenem Haar, einer mit dunklerem, dünnerem 372
Haar. In keinem von beiden erkannte sie sich selbst wieder, und sie wusste, dass einer der Männer rote Haare und einen zottigen roten Bart gehabt hatte.
Sie empfand nichts für die beiden, nicht mal das leichte Aufflackern von Interesse, das sie früher für die Babys anderer Frauen aufgebracht hatte. Sie hatte Babys zuzeiten als amüsant empfunden, zumindest wenn sie älter waren als diese beiden und zu lächeln gelernt hatten. Hin und wieder hatte sie eine Aufwallung von Zärtlichkeit empfunden … aber jetzt nicht. Das hier waren nur… kleine Tiere, die in ihrem Fleisch gelebt hatten und sich nun auf ihre Kosten ernährten. Wenigstens empfand sie das Stillen als weniger schmerzhaft – sogar als Erleichterung, wenn ihre Brüste vor Milch geschwollen waren.
Sie sah sich an, wie die übrigen Frauen mit ihren Kindern umgingen. Obwohl man auch diesen Frauen die Stimme
genommen hatte, liebten sie ihre Babys eindeutig, herzten sie, streichelten sie, lachten lautlos, wenn einer der Säuglinge etwas Komisches tat. Sie redeten mit ihnen in einem zischenden Flüstern und kleinen Schnalzlauten, wenn die Heimleiterin genügend weit weg war. Sie betrachteten die Babys der anderen, lächelten und nickten – und taten das Gleiche bei Bruns Zwillingen. Brun konnte ihnen nichts dergleichen zurückgeben.
Jetzt, wo sie sich selbst wieder zwingen konnte aufzustehen, erwartete man von ihr, bei der Arbeit zu helfen. Aber sie hatte noch nie einen Säugling versorgt, geschweige denn unter diesen primitiven Bedingungen. Das Wickeln stellte sie vor unlösbare Probleme.
»Man hat den Eindruck, sie hätte noch nie etwas getan. Ist denn zu glauben, dass eine erwachsene Frau nicht weiß, wie man Gemüse schält?
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