Wallander 03 - Die weisse Löwin
Er sah, daß zwei Schlafräume kürzlich benutzt und in großer Hast verlassen worden waren. Er dachte, daß Konovalenko diesmal doch etwas hinterlassen haben mußte. Er war aus dem Haus gegangen und nicht wieder zurückgekehrt. Natürlich gab es die Möglichkeit, daß der andere Besucher Konovalenkos Besitztümer mitgenommen hatte. Vielleicht war Konovalenkos Vorsicht wirklich grenzenlos. Vielleicht hatte er jeden Abend mit einem Einbruch gerechnet und die wichtigsten Dinge versteckt, bevor er schlafen ging? Wallander rief Blomstrand zu sich, der dabei war, den Geräteschuppen zu untersuchen. Alle verfügbaren Polizisten sollten im Haus nach einer Tasche suchen.
Er konnte nicht sagen, wie sie aussehen und wie groß sie sein sollte. »Eine Tasche mit Inhalt«, sagte er. »Irgendwo muß sie zu finden sein.«
»Was für ein Inhalt?« fragte Blomstrand.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Wallander. »Papiere, Geld, Bekleidung. Vielleicht eine Waffe. Ich weiß es nicht.«
|490| Die Suche begann. Mehrere Taschen wurden zu Wallander gebracht, der in der unteren Etage wartete. Er blies den Staub von einer Schreibmappe, die alte Fotografien enthielt und Briefe, die zumeist mit »Geliebte Gunvor« oder »Mein lieber Herbert« eingeleitet wurden. Eine genauso staubige Tasche, die unter dem Dach gefunden wurde, enthielt eine große Anzahl exotischer Seesterne und Schnecken. Wallander wartete geduldig. Er wußte, daß es irgendwo eine Spur Konovalenkos geben mußte und damit vielleicht auch eine des unbekannten Begleiters. Während er wartete, telefonierte er mit seiner Tochter und mit Björk. Die Nachricht über die Ereignisse des Morgens hatten sich schon über das Land verbreitet. Wallander teilte seiner Tochter mit, daß es ihm gutgehe und daß jetzt alles vorüber sei. Am Abend, wenn er heimkäme, würden sie den Wagen nehmen und für ein paar Tage nach Kopenhagen hinüberfahren. An ihrer Stimme konnte er hören, daß sie ihm nicht glaubte, weder was sein Wohlbefinden anging noch was die Feststellung betraf, nun sei wirklich alles vorüber. Später dachte er, daß er eine Tochter hatte, die ihn genau durchschaute. Das Gespräch mit Björk endete damit, daß Wallander wütend wurde und den Hörer auf die Gabel warf. Das war ihm in seiner langjährigen Bekanntschaft mit Björk noch nie passiert. Die Ursache war, daß Björk Wallanders Urteilsfähigkeit in Frage gestellt hatte, weil er, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, allein hinter Konovalenko hergejagt war. Wallander sah natürlich ein, daß Björks Sicht berechtigt war. Was ihn aber aufbrachte, war, daß Björk gerade jetzt, mitten in einer kritischen Phase der Ermittlungen, darauf zu sprechen kam. Björk seinerseits wertete Wallanders Wutanfall als ein Zeichen, daß er seelisch wirklich aus dem Gleichgewicht geraten war. Wir müssen Kurt unter Aufsicht halten, sagte er zu Martinsson und Svedberg.
Es war Blomstrand selbst, der schließlich die richtige Tasche fand. Konovalenko hatte sie hinter einem Haufen von Stiefeln in einem Besenschrank versteckt, der in dem Gang zwischen Küche und Eßzimmer stand. Es handelte sich um eine Ledertasche, die mit einem Kombinationsschloß versehen war. Wallander überlegte, ob das Schloß vielleicht mit einer Sprengladung gekoppelt |491| war. Was würde geschehen, wenn sie die Tasche gewaltsam öffneten? Blomstrand raste damit zum Kalmarer Flugplatz und ließ sie mittels Röntgenapparat untersuchen. Nichts deutete darauf hin, daß sie explodieren würde, wenn man das Schloß aufbrach. Er fuhr zur gelben Villa zurück. Wallander nahm einen Schraubenzieher und brach die Sperre auf. Die Tasche enthielt eine Anzahl Papiere, Fahrkarten, einige Pässe und eine große Geldsumme. Außerdem fand sich eine kleine Pistole, eine Beretta. Die Pässe gehörten alle Konovalenko und waren in Schweden, Finnland und Polen ausgestellt. Jeder von ihnen trug einen anderen Namen. Als Finnländer hieß Konovalenko Mäkelä, als Pole deutsch klingend Hausmann. Die Summe an Bargeld belief sich auf siebenundvierzigtausend schwedische Kronen und elftausend Dollar. Was Wallander jedoch am meisten interessierte, war, ob die Papiere aus der Tasche ihm einen Hinweis auf den unbekannten Begleiter geben konnten. Zu seiner großen Enttäuschung waren die meisten Schriftstücke in einer fremden Sprache abgefaßt, wahrscheinlich in Russisch. Er verstand kein Wort. Es schien sich um eine Art Tagebuch zu handeln, denn am Rand war jeweils ein Datum
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