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Wandel

Wandel

Titel: Wandel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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sondern direkt an den Roten König. „Ich werde versuchen, ihn zu schwächen, zum Krüppel zu machen. Frag ihn, was er vom Todesfluch eines Magiers des Weißen Rates hält. Ob er nicht auch meint, dass der ihn verletzen kann. Frag ihn, wie sehr er den Leuten auf den nächsten Ebenen traut. Frag ihn, ob er wirklich glaubt, sie kommen zu Besuch und bringen Geschenke, wenn sie mitkriegen, dass er verwundet wurde.“
    Alamaya stotterte in hektischem Flüsterton vor sich hin, was ihr einen scharfen Tadel des Roten Königs eintrug. Ich konnte mir den Inhalt der anschließenden Unterhaltung lebhaft vorstellen. „Das mag ich wirklich nicht sagen, mein Herr.“
    „Dämliche Sklavin, übersetz gefälligst, wie ich dir verdammt noch mal befohlen habe, oder ich trete dir in den Hintern, bis dir Hören und Sehen vergeht.“
    Die arme Alamaya tat, wie ihr befohlen, und der Rote König reagierte, wie vorherzusehen gewesen war: Er platzte fast vor Zorn. Er fing an, mit den Zähnen zu knirschen, und unter seiner Haut bewegte sich etwas. Dort, wo eigentlich nichts hätte existieren dürfen, was sich bewegen kann.
    Ich lüpfte eine Braue und starrte ihn an, ein Wolfsgrinsen im Gesicht. Bestimmt hatte schon lange niemand mehr so mit dem Mann geredet – wenn überhaupt je. Vielleicht fehlte ihm total die Erfahrung mit solchen Tönen, und er wusste nicht damit umzugehen. Sollte das so sein, dann starb ich hier bald einen grausamen Tod.
    Schließlich schaffte es der König doch noch und kriegte sich wieder ein, aber ich hatte das deutliche Gefühl, wieder einmal haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert zu sein. Allerdings kostete es die Frau auf dem Altar das Leben.
    Der Rote König fuhr herum und stieß ihr das Obsidianmesser mit solcher Kraft ins linke Auge, dass die Klinge abbrach. Sie bäumte sich auf, soweit es die Fesseln zuließen, stieß einen kurzen, halb erstickten Schrei aus, und ihr Kopf schleuderte wie wild von rechts nach links, ehe sie sich in den Tod hinein entspannte. Nur ihr linkes Bein zuckte noch etwas.
    Der Rote König fuhr mit der Fingerspitze durch das Blut, das ihr aus der Augenhöhle auf die Wange rann, und steckte sich den Finger in den Mund. Ein wohliges Zittern lief durch seinen Leib, ehe er sich vollkommen beherrscht wieder zu mir umdrehte.
    Moment – solches Benehmen kannte ich doch. So verhielt sich ein Süchtiger, der sich gerade einen Schuss gesetzt hatte. Oder seinen Alkoholpegel auf Stand gebracht oder sich anderweitig mit den Dingen versorgt hatte, die er braucht. Mit den Drogen im Leib kamen die Illusionen, und er glaubte, mit sämtlichen emotionalen Problemen prima fertigwerden zu können.
    Die Szene eben erklärte so einiges. Die seltsamen Schwankungen bei den Leistungen des Roten Hofs während des Krieges zum Beispiel: einmal brillant und aggressiv, dann wieder chaotisch und von völlig idiotischen Fehlern geprägt. Kein Wunder, wenn man einen Junkie zum Heerführer hatte. Auch den Unfrieden innerhalb des Roten Hofs konnte ich jetzt besser nachvollziehen. Wenn Macht sich hier im Maß der Kontrolle ausdrückte, die man über den eigenen Blutdurst besaß, wenn nur mitherrschen durfte, wer sich den Begierden gezielt und ausgewählt hingab und nicht blind jedem Impuls folgte – dann wusste doch jeder, dem der Zustand des Königs bewusst war, dass dieser Herrscher inzwischen als schwach, inkonsequent und in seinem Verhalten irrational angesehen werden musste.
    Heilige Scheiße! Der Typ hier war nicht einfach ein Monster, er war schwer paranoid. Musste er ja sein. Er kannte seine Leute, er wusste, als was sie seinen Blutdurst sahen: als Zeichen dafür, dass man ihn stürzen musste. Wenn das schon lange so ging, war der Typ nicht mehr zurechnungsfähig, selbst nach den Maßstäben des roten Hofs durchgeknallt.
    So langsam fügte sich ein Mosaiksteinchen ans andere: Arianna war ihrem König irgendwie auf die Schliche gekommen, war über seine Schwäche gestolpert und baute jetzt im Hintergrund ihre Position aus, um ihn irgendwann zu entmachten. Sie hatte sich in der Gesellschaft, innerhalb derer sie agierte, eine persönliche und politische Machtbasis geschaffen – innerhalb ihrer psychotischen, blutbeschmierten, Axtmörderversion einer Gesellschaft. Die Frage, wie man mit Feinden angemessen umging, war in jeder Gesellschaft zentral. Der Rote Hof hatte sie eindeutig beantwortet, denn für ihn gab es nur zwei Gruppen von Feinden: die, mit denen man bereits angemessen umgegangen war, und die,

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