Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Seiten die Überschrift des jedesmaligen Buches und Kapitels fortlaufend angegeben stehe, z.B. auf der Seite zur Linken: ›Viertes Buch, Kap. 43.‹, auf der zur Rechten: ›Erblichkeit der Eigenschaften‹ u.s.f.
Bloß das erste Buch (nicht die andern) zerfällt in zwei Hälften, die nicht gerade durch ein Titelblatt gesondert zu werden brauchen, sondern die bloße Überschrift kann hinreichen.«
Das Schicksal dieser Manuskripte – seitdem vielleicht in Schopenhauerschen Sammelwerken veröffentlicht – – ist mir unbekannt.
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Der Ausschmückung seines zeitlichen Hauses widmete Wiesike durch ein halbes Jahrhundert hin nur wenig Sorgfalt, desto mehr seiner letzten Ruhestätte, nachdem ihm 1865 die Frau gestorben war. Im genannten Jahre beschloß er – vielleicht nicht ganz unbeeinflußt durch den eigenartigen Friedhof der Humboldts in Tegel – einen Begräbnisplatz in seinem Park herzurichten, und ging auch sofort an die Ausführung dieses Beschlusses. Als ich (wie erzählt) 1874 zum ersten Male nach Villa Wiesike kam, war dieser Begräbnisplatz schon vorhanden und fesselte mich weniger durch seine Schönheit – darüber wäre zu streiten gewesen – als durch eine gewisse Originalität der Anlage. Ein etwa dreihundert Schritt langer Fliedergang führte zu einem großen, von einer Fliederhecke kreisförmig umstellten Rondell: inmitten dieses Rondells ein quadratisches Eisengitter und wiederum inmitten dieses Gitters ein Sockelbau mit einer Granitpyramide samt drei Grabstellen und einem Blumenbeet. Dies Blumenbeet in Front. In Front auch ein Marmorrelief »Hygiea und Psyche« darstellend (mit der Legende: Mens sana in corpore sano), an beiden Seiten des Obelisken aber die Medaillenporträts des Wiesikeschen Ehepaars: Karl Ferdinand Wiesike und Julie Wiesike, geb. Tannhäuser. Endlich, an der Rückfront, nicht Bild, nicht Porträt, wohl aber die Inschrift: »Wilhelmine Rolle; ihren langjährigen treuen Diensten zum Gedächtniß«. Nur erst Julie Wiesike, geb. Tannhäuser, hatte von den genannten Dreien ihre Grabstelle schon bezogen, wovon, außer dem eingravierten Todesdatum, auch der Efeuhügel Zeugnis gab. Die beiden andern, der alte Herr und die treue Dienerin seines Hauses, freuten sich noch des himmlischen Lichts und traten täglich an die Stelle, wo sie, früher oder später, ebenfalls ihre Ruhestätte finden sollten. Ursprünglich, was nicht vergessen werden darf, war auch diese Stätte bestimmt gewesen, neben der Bestattung der Familie dem Kultus des Genius zu dienen, und statt »Hygiea und Psyche« hatten Hahnemann und Schopenhauer und des weiteren die Büsten von Aeschylus, Bach und Kant den diese Stelle Besuchenden begrüßen sollen. Es war aber schließlich doch Abstand von dieser Lieblingsidee genommen worden, einerseits um Verwirrung und andererseits um den Schein der Prätention zu vermeiden. Seitdem ist der alte Wiesike selber heimgegangen (11. Oktober 1880) und ruht nun ebenfalls zu den Füßen des Obelisken, weshalb es sich geziemen mag, diesen Kapitelabschnitt mit dem Versuch einer Wiesikeschen Charakteristik zu schließen.
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Karl Ferdinand Wiesike war eine spezifisch märkische Figur, unter anderem auch darin, daß er mehr war, als er schien. Sah man ihn öfter, so wurde man freilich gewahr, eine wie kluge Stirn und wie kluge Augen er hatte, wer dieses Vorzuges häufigerer Begegnungen aber entbehrte, der nahm ihn, mit seiner breiten Unterlippe, notwendig für eine Alltagserscheinung. Unter denen, die den Alten mit am besten kannten, war auch die betagte, drüben im Schloß wohnende Gräfin Königsmarck, geborene von Bülow. Sicherlich waren die Gräfin und Wiesike Gegensätze: Hochadel und Bürgertum, Konservatismus und Fortschritt, Christentum und Atheismus standen sich in ihnen gegenüber, aber die Gräfin hielt trotz alledem große Stücke auf ihren Nachbar, von dem sie wußte, daß er nicht bloß klug, sondern auch mutig und ehrlich war und das Herz auf dem rechten Flecke hatte.
Wiesike war nicht bloß ein genialer Praktiker, der mit Hilfe selbständigen Denkens sich rein äußerlich vorwärts zu bringen verstand, er hatte, wie nicht genug hervorgehoben werden kann, dies sein selbständiges Denken auf jedem Gebiet und verachtete nichts so sehr, wie den Glauben an das allein Seligmachende der Überlieferung. Er ließ die Tradition gelten und war weitab davon, ein Reformer à tout prix sein zu wollen, aber ebenso kritisch er die Neuerungen ansah, ebenso kritisch
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