Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Seite gelesen, so wurde mit der ersten wieder
    angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition.
    Nachdem Marwitz seinen Schroeckh zweimal durch
    hatte, fingen diese Repetitionsstunden an, eine Re-
    deübung zu werden. Marwitz, mit gutem Gedächtnis
    ausgerüstet, hatte den Inhalt des Buches beinahe
    wörtlich im Kopf und sah sich dadurch in den Stand
    gesetzt, jedes Kapitel wie eine Erzählung vorzutra-
    gen. Der Vorteil, der dadurch gewonnen wurde, war
    ein doppelter: die Dinge saßen fest fürs Leben, und
    die Gewohnheit des Vortraghaltens gewann ihm die
    nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit, aus dem
    Stegreif zusammenhängend reden zu können.
    Dreizehn Jahr alt, trat Marwitz als Junker in das Re-
    giment Gensdarmes, also in dasselbe Regiment, in
    dem schon so viele Marwitze, darunter zwei seiner
    Oheime, gedient und Ruhm und Auszeichnung ge-
    funden hatten. Dieser Eintritt verstand sich ganz von
    selbst; an die Möglichkeit eines andern Berufs war im
    Vaterhause nie gedacht worden. Marwitz gedachte
    dessen immer voll Dank, denn wie wenig auch die

    1182
    Verhältnisse ihm zu Gunst und Willen gewesen wa-
    ren, immer blieb er dabei, daß das Leben des Krie-
    gers das schönste und der Krieg der Prüfstein des
    Mannes sei. In etwas einseitiger, aber charakteristi-
    scher Auffassung schrieb er daher noch kurz vor sei-
    nem Tode: »Zu vieles Lernen ertötet den Charakter.
    Im Kriege nur fallen all die Künste weg, welche den
    Schein an die Stelle des Verdienstes setzen. Diese
    Eigenheit des Krieges wird nicht genugsam erkannt.
    Blick und Urteil unter erschwerenden Umständen,
    Tapferkeit und Ausdauer können nirgends anders als
    im Kriege gezeigt und erprobt werden. Nur hier kann
    man mit Sicherheit auf den Charakter des Menschen
    schließen.«
    Marwitz war also Junker im Regiment Gensdarmes.
    Wie er zeitlebens alles ernst nahm, so auch den
    Dienst. Der noch knabenhafte Körper mußte dem
    starken Willen gehorchen, und der Junker avancierte
    zum Cornet und Offizier. Klein, wie er war, machte
    ihm das Reitenlernen die größte Schwierigkeit, aber
    je mehr er diese Schwierigkeit empfand, desto mehr
    war er bestrebt, sie zu überwinden. Zu jeder Tages-
    zeit saß er zu Pferde, gab aufs genaueste bei denen
    acht, die als die besten Lehrer und Stallmeister gal-
    ten, und fragte, versuchte und quälte sich so lange,
    bis er endlich völlig triumphierte und zu einem der
    besten Reiter des Regiments wurde. Das wollte da-
    mals etwas sagen; denn wenn man den Erzählungen
    und Berichten Glauben schenken darf, die Marwitz
    über diesen Gegenstand – dem er auch in späterer
    Zeit noch besondere Aufmerksamkeit widmete – hin-
    terlassen hat, so war die Kunst des Reitens nur in

    1183
    der alten Armee zu Hause und wurde in die neue
    Heeresorganisation nicht mit herübergenommen.
    Während des Krieges und nach demselben saß man
    noch zu Pferde, aber man ritt nicht mehr. Mit wahrer Begeisterung gedachte deshalb Marwitz seiner Lieutenantstage, wo diese Kunst noch geblüht, und er-
    zählte mit Vorliebe von den Jagdspielen, die damals
    von Kavallerieoffizieren der Berliner Garnison im
    Tiergarten aufgeführt wurden. Lieutenant Rothkirch
    von den Gensdarmes (»ein gewaltiger Reiter, wie es
    keinen mehr gibt«, setzt er hinzu) machte den Hirsch
    und verbarg sich im Walde; die andere waren Jäger
    und Hunde. Es wurde parforcemäßig lanciert und
    dann gejagt; der Hirsch sollte gegriffen werden, was
    aber fast niemals gelang.
    Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts brachte Krieg;
    Marwitz machte 1790 den resultatlosen polnischen
    Feldzug, 1793 bis 1795 die Rheincampagne mit;
    wichtiger aber als diese Kriegsereignisse, an denen
    er bei seiner Jugend keinen hervorragenden Anteil
    nehmen konnte, war für ihn, besonders für seine
    geistige Entwicklung, die Rückkehr des Obersten
    Baron von der Goltz, der eine lange Reihe von Jahren
    hindurch in Paris als preußischer Gesandter gelebt
    hatte. Baron von der Goltz war ein naher Verwandter
    der Marwitzschen Familie und verbrachte seine A-
    bende mit Vorliebe im Hause derselben. Die Franzö-
    sische Revolution und ihre Ursachen bildeten natür-
    lich einen unerschöpflichen Stoff für die Unterhal-
    tung. Der ehemalige Gesandte, der ein Vierteljahr-
    hundert und länger den Ereignissen der französi-
    schen Hauptstadt gefolgt war und mit scharfem Auge

    1184
    die Schwächen und Fehler des Hofes, die Machinati-
    onen der politischen Gegner und die Verworfenheit,
    Keckheit und dämonische

Weitere Kostenlose Bücher