Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Zuchtlosigkeit der Volks-
    massen und ihrer Führer beobachtet hatte, war na-
    türlich schon damals befähigt, Aufschlüsse über die
    Triebfedern und zugleich eine Gesamtdarstellung des
    großen Ereignisses zu geben, wie es der Ge-
    schichtschreibung, der ein Wust traditioneller Lob-
    preisung im Wege stand, erst in viel späteren Jahren
    möglich geworden ist. Er hatte alle kleinen und
    schlechten Leidenschaften in dem Hexenkessel tätig
    gesehen und mußte natürlich, durch die Lebendigkeit
    seiner Schilderungen und die Überlegenheit seines
    politischen Urteils, Anschauungen befestigen, zu de-
    nen die Keime von Anfang an im Gemüt unseres
    Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royalist;
    von da ab begann er es auch mit Bewußtsein zu
    werden.
    Noch mehrere Jahre lang blieb Marwitz im Regiment
    Gensdarmes, bis er im August 1802 seinen Abschied
    nahm. Was ihn direkt dazu bestimmte, ist schwer zu
    sagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den
    Dienst verleideten, war es der frivole Ton der Resi-
    denz, der seinem auf Ernst und Wahrheit gestellten
    Wesen widerstand, oder war es seine Verlobung mit
    der schönen Gräfin Franziska von Brühl, die im Juli
    desselben Jahres stattgefunden hatte, gleichviel, er
    quittierte den Dienst und zog sich nach Friedersdorf
    zurück. Die Sehnsucht nach der väterlichen Scholle
    war erwacht; der Pflug trat an die Stelle des Schwer-
    tes. Sein ganzes Wesen ließ keine Halbheit zu, und
    mit demselben Ernst, mit dem er Soldat gewesen

    1185
    war, ging er jetzt an die Bestellung seiner Äcker, an
    die Pflege seines Guts. 1803 vermählte er sich. Aber
    trübe Sterne waren über Schloß Friedersdorf aufge-
    gangen, und der Tod trennte nach kaum Jahresfrist
    ein Band, das die innigste gegenseitige Neigung ge-
    schlossen hatte. Marwitz bestattete die geliebte Frau,
    die sein Freud und Stolz gewesen war, und schrieb
    auf den Grabstein: »Hier ruht mein Glück.«
    »Hier ruht mein Glück«, und in der Tat, es war, als
    habe Marwitz sein Glück begraben. Überall, wo sein
    Herz am verwundbarsten war, da wurd es jetzt ver-
    wundet. Was von dem Gange der großen Weltereig-
    nisse in seine Einsamkeit drang, steigerte nur die
    Niedergedrücktheit seines Gemütes. Endlich kam ein
    großer Schlag, und die politischen Vorgänge, die bis
    dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt schufen sie einen leidenschaftlichen Groll in seinem
    Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die aufschlug,
    ward ihm zum Segen, indem sie ihn seinem Brüten
    entriß.
    Der Napoleonische Übermut hatte Schmach auf
    Schmach gehäuft, neutrales preußisches Gebiet war
    in herausfordernder Weise verletzt worden; das durf-
    te, das konnte nicht ertragen werden. Österreich und
    Rußland standen bereits im Felde; Preußen mußte
    seine Truppen zu dem vereinigten Heere beider sto-
    ßen lassen; der Krieg war sicher – wenigstens in
    Marwitz' Augen. Er riß sich heraus, suchte beim Kö-
    nige seinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wur-
    de mit dem Range eines Rittmeisters zum Adjutan-
    ten des Fürsten von Hohenlohe ernannt.

    1186
    Aber nicht jeder in preußischen Landen war damals
    ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und selbst-
    süchtige Bequemlichkeit in ihren Ansichten be-
    stimmt, andere trieben das traurige Geschäft der
    »Staatskünstelei«. Noch viele Jahre später konnte
    Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmut ausrufen:
    »Was redet man beständig von dem edlen Enthu-
    siasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthusiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man
    selbst in Großem und Kleinem etwas verloren hatte,
    Schmach und Verderben vom Vaterlande fernzuhal-
    ten. Als nachher, wie zu gerechter Strafe, ein jeder
    in seinem Hause geplagt und gepeinigt und, um ein
    Wesentliches nicht zu vergessen, die französische
    Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes
    vernichtet war – da war es keine Kunst, Enthusias-
    mus zu zeigen.«
    Der Tag von Austerlitz brach an, ehe Preußen sich
    entschlossen hatte; nach diesem Tage war es unnö-
    tig, noch kriegerische Entschlüsse zu fassen. Es blieb
    Friede, freilich ein Friede wie Gewitterschwüle, und
    Marwitz, nachdem er zum zweiten Male seinen Ab-
    schied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gu-
    te zurück.
    Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche,
    die Halbheit, die Indifferenz, ja die ausgesprochene
    französische Gesinnung, der er fast überall in der
    Hauptstadt begegnet war, während schon die Napo-
    leonischen Adler

Weitere Kostenlose Bücher