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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Losung
    sein und bleiben zu wollen.
    Indessen, der Himmel hatte es anders beschlossen.
    Es wurde Krieg. Sechs kostbare Wochen waren ver-säumt, viel war verloren, aber nicht alles, und noch
    war es nicht zu spät. Brauch ich zu erzählen, daß
    Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitte-
    rere Kränkungen und Erfahrungen hätten es nicht
    vermocht, ihn in solchem Augenblick in seiner Ein-
    samkeit zurückzuhalten.
    Mit dem Rang eines Majors trat er ein und ward An-
    fang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade
    betraut. Diese Brigade bestand aus vier Bataillonen
    des dritten kurmärkischen Landwehrinfanteriere-
    giments und aus ebensoviel Schwadronen Landwehr-
    kavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavallerist,
    ließ er sich die Ausbildung dieser vier Schwadronen
    besonders angelegen sein. Mit jenem gesunden Sinn,
    der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf
    der Stelle, daß hier unter »Ausbildung« etwas ande-
    res verstanden werden müsse, als das Reit- und E-
    xerzierreglement in langen Paragraphen vorschrieb.
    Was er tat, auch auf diesem relativ untergeordneten
    Gebiete, scheint mir wichtig und charakteristisch
    genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die
    Raschheit und Selbständigkeit des Urteils, die jeder
    neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupas-

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    sen weiß, ist es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem bloß braven Soldaten unterscheidet, und in
    ähnlicher Weise, wie einst Lieutenant von dem Kne-
    sebeck während des Feldzugs in der Champagne
    einen halben Brottransport dadurch zu retten gewußt
    hatte, daß er nicht Anstand nahm, die andere Hälfte
    (ein paar tausend Kommißbrote) in einen sonst un-
    passierbaren Sumpf zu versenken, so war auch Mar-
    witz seiner Landwehrkavallerie gegenüber rasch ent-
    schlossen, das erreichbar Unvollkommene einer un-
    erreichbaren Vollkommenheit vorzuziehen. Sosehr er
    die Reitkunst verehrte und als unentbehrlich für eine
    echte, eigentliche Reiterei betrachtete, so klar er-
    kannte er doch auch, daß unter den gegebenen Ver-
    hältnissen diese Reitkunst nicht gehegt und gepflegt
    werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Land-
    leute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, ma-
    gern Gäulen vor ihm im Sattel saßen, konnten reiten, freilich schlecht genug; aber gut oder schlecht, er
    hielt es für das beste, sie bei ihrer Reitart zu belassen. Er sagte sich sehr richtig, daß, wenn ein Natura-
    list zur Reitkunst dressiert werden soll, er anfangs
    notwendig schlechter und ungeschickter reitet als
    vorher, weil er seine alten Gewohnheiten aufgeben
    soll und sich die neuen nicht schnell genug zu eigen
    machen kann. So ließ er es denn beim alten, befahl,
    die Pferde mit bloßer Trense zu zäumen, gab jedem
    Reiter einen Kantschu statt der Sporen und be-
    schränkte seine ganze Forderung darauf, daß jeder
    imstande sei, dahin zu reiten, wohin er wolle. »Ge-
    walt über das Pferd« war die einzige Forderung. Wie
    und durch welche Mittel war gleichgültig.

    1197
    Mit dieser Reiterei, die, abgesehen von der Lanze
    und einem ärmlichen Uniformstück, nicht viel anders
    aussehen mochte als Bauerjungen und Pferdeknech-
    te, die abends zur Tränke reiten, war Marwitz, weil
    er den Geist zu wecken gewußt hatte, nichtsdesto-
    weniger imstande, am 7. Juni ein siegreiches Gefecht
    vor den Toren Wittenbergs zu bestehen und eine
    Abteilung polnischer Ulanen zu werfen und Gefange-
    ne zu machen. Eine Paradetruppe waren seine Land-
    wehrreiter freilich nicht, und als während des Waf-
    fenstillstandes auf dem Tempelhofer Berge eine gro-
    ße Musterung vor dem Könige stattfand, ging das
    ganze Regiment, dessen kleine Klepper angesichts
    der Zuschauermenge scheu wurden, bis auf den letz-
    ten Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht
    vermocht hatte, vermochte der Anblick der Berliner
    Beaumonde. Der König ritt an Marwitz heran und
    sagte lächelnd: »Ein Glück, daß die Mauer so fest
    stand.« Der Spott war empfindlich. Marwitz aber
    blieb unerschütterlich bei seinem System.
    Und mit Recht. Wie seine Leute sich bei Wittenberg
    bereits bewährt hatten, so vor allem auch am
    27. August in dem berühmt gewordenen Gefecht bei
    Hagelberg (bei Belzig). Den Ausschlag an diesem
    Tage gab freilich das Fußvolk. Es traf sich glücklich
    für unsern Marwitz, der an diesem Tage die Reserve
    kommandierte, daß er mit seinen drei Bataillonen die
    schon verlorene Schlacht zum Stehen bringen und
    endlich siegreich hinausführen

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