Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Vorgänge, immer
bereit, mit Wort und Schrift einzugreifen, wo es nötig
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war, im Dienste der Sache (zumal gegen Harden-
berg) ein Zeugnis abzulegen.
Zehn Jahre lang führte er die Brigade. 1827, als ihn
der Zusammentritt des Brandenburgischen Landta-
ges nach Berlin führte, dem er als Vertreter des er-
krankten Landtagmarschalls zu präsidieren hatte,
wurd ihm die Breslauer Division anstelle der bisher
kommandierten Brigade angeboten. Nach kurzem
Schwanken lehnte er das Anerbieten ab. Er war mü-
de geworden im Dienst. Was aber den Ausschlag
gab, war eben die Erwägung, daß die Übernahme
eines fast vierzig Meilen von Friedersdorf entlegenen
Kommandos ein längeres Verweilen auf seiner »Väter
Schloß« unmöglich gemacht haben würde. So forder-
te er denn seinen Abschied und erhielt ihn. Der König
ließ ihn rufen, um ihm ein Abschiedswort zu sagen.
Es war eine Begegnung voll tiefpoetischen Gehalts.
Der alte märkische Edelmann, der, wie kaum ein
anderer vor ihm, sein eigenes Recht neben dem kö-
niglichen Recht von Gottes Gnaden zu behaupten
gewagt hatte, trat jetzt am Ende seines Lebens vor
seinen König hin, den er immer geliebt und verehrt
und doch in entscheidenden Momenten des staatli-
chen Lebens aus der Überzeugung seines Herzens
heraus bekämpft hatte.
Es war im Potsdamer Schlosse. Der König, der von
seinem Beinbruche kaum wiederhergestellt war, ging
ihm durch den halben Saal entgegen, reichte ihm
fest die Hand und sagte dann laut, in Gegenwart al-
ler Umstehenden: »Mir sehr leid getan, einen so
ausgezeichneten General zu verlieren.« Marwitz, lei-
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se den Punkt berührend, wo Herr und Diener ausei-
nandergegangen waren, antwortete mit der Versi-
cherung unverbrüchlicher Loyalität. »Mir sehr wohl
bekannt, immer nach Grundsätzen gehandelt ha-
ben «, antwortete der König mit gnädiger Verbeu-
gung. So trennte man sich.
»Immer nach Grundsätzen gehandelt haben« – unter
Wiederholung dieser königlichen Worte, die die gan-
ze Bedeutung dieses Mannes in einen Satz zusam-
menfassen, nehmen auch wir von ihm Abschied.
»Immer nach Grundsätzen gehandelt haben«, das
war es, was er in einer in ihren Grundsätzen sehr
schwankenden Zeit vor geistig höher Begabten, vor
Weiterblickenden und namentlich auch vor Glückli-
cheren voraushatte, das war es, worin seine Bedeu-
tung wurzelte. An Wissen, an Talent mochten ihm
viele überlegen sein, nicht an Charakter. Nicht ein
reaktionäres Wesen schuf er, nicht ein albernes Jun-
kertum; er war es, der den Mut einer Meinung hatte,
längst ehe dieses Wort gemünzt und in Kurs ge-
kommen war. Er war kein Rückschrittsmann, der
eifersüchtig und mißmutig auf jede Fortentwickelung
geblickt hätte, er war nur mißtrauisch gegen das
alleinige Recht der Neuerungen. Und nach dieser
Seite hin ihn zu schildern war der Zweck dieser Zei-
len.
Am 7. Dezember 1837 ging er aus einem Leben voll
Unruhe in die ewige Ruhe ein. Drei Tage später ward
er neben seiner ersten Gemahlin begraben. Den
Sonntag darauf ward ihm die Gedächtnispredigt
gehalten, gemäß den Anweisungen seines Letzten
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Willens. Diese Anweisungen lauteten: »Der Prediger
soll mich nicht loben wegen dessen, was ich auf Er-
den getan, sondern soll zeigen, wie das irdische Le-
ben nur eine Vorbereitung ist zu dem ewigen. Er
kann aber sagen, daß ich gestrebt habe mein Leben
lang, die mir auferlegten Pflichten und Arbeiten treu-
lich zu erfüllen, dabei mein eigenes irdisches
Wohlsein für nichts achtend. Er darf das sagen, weil es wahr ist .«
Wohl jedem, der mit gleichem Bewußtsein aus dieser
Welt scheiden kann!
Ein Bild Marwitz', eingefaßt von den Seitenbildnissen
seiner beiden Frauen (die zweite war eine geborene
Gräfin Moltke, gestorben am 18. November 1848),
schmückt, wie bereits erzählt die Friedersdorfer Kir-
che.
Die Schilderung des Marwitzschen Lebensganges war
zugleich eine Schilderung seines Charakters. Über
diesen letztren aber mögen noch einige Bemerkun-
gen hier Platz finden. Ich knöpfe zu diesem Behuf an
die Vorgänge des Jahres 1811 an. Das Auftreten
Marwitz' in jener Epoche, wenn man ihm irgendwie
gerecht werden will, muß von zwei Gesichtspunkten,
vom juristischen und politischen aus, betrachtet werden. Das Urteil über dieselben Vorgänge wird
sich danach sehr verschieden gestalten.
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Was zunächst die juristische Seite angeht, so hatte Hardenberg selbst das Recht der
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