Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Revolutions-
ideen erfüllte Bürgertum, das wenigstens hier und
dort die Niederlage von Jena mit Befriedigung ver-
nommen hatte, wenig sympathisch war, war ebenso
begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieser Abneigung auch noch, als die Ereignisse des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des
Volks , sondern ganz speziell die Begeisterung der 1207
»Gebildeten«, ihm den Beweis geliefert hatte, daß
auch ein Bücherwurm und Wissenschaftler für eine
gute Sache zu fechten und zu sterben verstehe. Er
selbst gab diese Dinge im einzelnen zu, aber dem
ganzen Stande gegenüber blieb ihm das aristokrati-
sche Vorurteil. Der Adel nahm in seinen Augen nicht
nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch mo-
ralisch eine überlegene Sonderstellung ein; seine
Gesinnung war besser, ebenso seine Haltung, und
soviel Wahrheit und partielle Berechtigung, nament-
lich angesichts unseres märkischen Spießbürger-
tums, in dieser Auffassung liegen mochte, so führte
dieselbe doch gelegentlich zu den allerbedenklichsten
Konsequenzen. Eine Anekdote mag dies zeigen.
Im Jahre 1806 traf unser Marwitz, wenige Tage vor
der Jenaer Schlacht, im Schlosse zu Weimar mit
Goethe zusammen. Wie schildert er nun diesen? »Er
war ein großer, schöner Mann, der, stets im gestick-
ten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und
Galanteriedegen, durchaus nur den Minister sehen
ließ und die Würde seines Ranges gut repräsentierte,
wenngleich der natürlich freie Anstand des Vorneh-
men sich vermissen ließ .« Also auch Goethe konnte sich in Haltung und Erscheinung nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anstandsvoller Minis-
ter und ein großer Poet, war der Freund seines Fürs-
ten und der leuchtende Stern des Hofes, aber gebo-
ren als ein Bürgerssohn zu Frankfurt, ließ er doch
den »freien Anstand des Vornehmen vermissen«. Es
gebrach ein unaussprechliches Etwas, vielleicht die
Hohe Schule des Regiments Gensdarmes.
1208
Und bei dieser Gelegenheit mög ein kleiner Exkurs
gestattet sein. Es ist mit der Kunst des Anstands wie
beispielsweise mit der Kunst des Reitenkönnens und
vielleicht mit vielen andern Künsten. Jeder, Indivi-
duum wie Nationen, glaubt im Besitze des Rechten
zu sein. Die englischen Gentlemen sagen zu deut-
schen Kavalieren: »Ihr seid die besten Reiteroffizie-
re, aber ihr könnt nicht reiten«, und die deutschen
Kavaliere erwidern dem englischen Gentleman: »Ihr
versteht euer fox-hunting und steeple-chase, aber
enfin, ihr könnt nicht reiten.« Und ein stilles Beden-
ken mischt sich dabei von rechts und links her ein,
daß dem diesseitigen perfekten Kavalier und dem
jenseitigen perfekten Gentleman doch noch dies und
das zu seiner Vollkommenheit fehle. Und wie mit der
Kunst des Reitens, so mit der Kunst der feinen Sitte.
Die Gesetze derselben sind überall verwandt, aber
ihre Formen weichen voneinander ab. Da, wo noch
an eine ausschließliche Form der Gesellschaft geglaubt wird, hat die Gesellschaft selbst ihre höchste
Blüte noch nicht erreicht.
In Standesvorurteilen, wie sie das Urteil über Goethe
zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber er ver-
fuhr auch hierin nach Überzeugung und stumpfte
dadurch den Stachel des persönlich Verletzenden.
Zudem hielt es nicht schwer, die Wurzel seines Irr-
tums zu erkennen. Während er nämlich sich selbst
als Repräsentanten des Adels nahm, nahm er den
ersten besten Bürgerlichen als Repräsentanten des
Bürgerstandes. Der Zufall wollte, daß er in sich
selbst einen so vollkommenen Vertreter adeliger Ge-
sinnung zur Hand hatte, daß, bei solchem Heraus-
1209
greifen aufs Geratewohl, der Bürgerliche mit einer
Art von Notwendigkeit zu kurz kommen mußte. Er
vergaß eben, daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war
und daß viele Eigenschaften, die er an den »Gebilde-
ten« haßte, nicht Sondereigenschaften des Bür-
gerstandes, sondern allgemeine Eigenschaften der
ganzen Epoche waren. So geißelte er das Auftreten
eines eitlen, leckern und gesinnungslosen Histori-
kers, der damals in den Berliner Salons vergöttert
wurde, mit verdientem Spott, aber andere bürgerli-
che Namen, die seines Beifalls würdig gewesen wä-
ren, hätten ihm ebenso nah oder vielleicht näher
gelegen. Ich nenne nur Fichte. Statt dessen sah er
mit Vorliebe auf die Kluft, die freilich zwischen sei-
nem eigenen Empfinden und jener schnöden Nied-
rigkeit lag, die sich damals danach drängte,
Weitere Kostenlose Bücher