Warum unsere Kinder Tyrannen werden
dieser durch den Rücktransport per Auto dann auch gleich wieder ad adsurdum geführt. Solche Situationen muten zwar zunächst wie skurrile Ausnahmen an, sind jedoch durchaus die Regel, da sowohl die transportierenden Eltern als auch das Personal in Kindergärten und Schulen nur noch das Symptom (das Kind hat motorische Schwierigkeiten) wahrnehmen, die Konsequenzen daraus jedoch an externe Stellen delegieren.
Delegiert wird von den Eltern neben den einschlägigen Therapieeinrichtungen vor allem an Erzieher im Kindergarten und Lehrer in den Schulen. Die Folge ist eine starke Zunahme auffälliger Kinder in den entsprechenden Einrichtungen, die dort mit Erwachsenen konfrontiert werden, die ihrerseits ebenfalls in der beschriebenen Welt der Ãberforderungen leben. Zu dieser allgemeinen Ãberforderung kommt noch die Erwartungshaltung der Eltern hinzu, die daheim nicht erreichten Erziehungsziele zu schaffen.
In der Folge ist zu beobachten, dass auch immer mehr pädagogisch tätiges Personal in ein Projektionsverhältnis hineinrutscht und damit nicht mehr in der Lage ist, sich selbst als pädagogisch tätig zu verstehen. Es wird fast ausschlieÃlich darüber nachgedacht, wie man den Bedürfnissen des Kindes immer stärker entgegenkommen kann. Dabei wird das Kind im Sinne des partnerschaftlichen Denkens häufig in die Entscheidungsfindung mit hineingenommen. Eigentlich sollte der Kindergarten dem Kind Konstanz in Kategorien wie »Personen«, »Räume« und »Abläufe« bieten, um durch stete Wiederholung, einem wichtigen Kennzeichen von Konstanz, psychische Funktionen zu trainieren, die dem Kind eine problemlose Integration in die Gesellschaft (zunächst in Form der Schulfähigkeit) ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Umkehrung des Machtverhältnisses in der Projektion ist diese Konstanz scheinbar obsolet geworden. Es wird vielmehr, wie bereits im Kapitel über Partnerschaftlichkeit beschrieben, fast ausschlieÃlich den Impulsen der Kinder entsprochen, um Konflikten mit ihnen aus dem Weg zu gehen.
Auch der Erzieher im Kindergarten unterliegt auf diese Art und Weise der Hoffnung, vom Kind die Liebe und Anerkennung zu bekommen, die ihm die Gesellschaft verwehrt, auch er projeziert sich ins Kind und handelt nach dem Motto »Ich hole mir meine notwendige Liebe von den Kindern«. Die Erkenntnis, dass es sich hier nur um eine oberflächliche Zufriedenheit des Kindes handelt, kann sich im Rahmen der Projektion nicht einstellen. Fatal daran ist, dass dieser Erzieher sich auch nicht mehr dafür verantwortlich fühlen wird, dem Kind die psychischen Voraussetzungen mitzugeben, um mit sechs Jahren den Ãbergang in die Grundschule problemlos bewältigen zu können.
Das Drama dieser Entwicklung wird vor allem dann klar, wenn pädagogisch tätige Personen wie dieser Erzieher eine Fehlhaltung bei einem Kind beobachten. In der Projektion ist der natürliche Impuls des Erziehers, korrigierend einzugreifen und sich dem Kind damit als abgegrenztes Gegenüber zu präsentieren, nicht mehr vorhanden. Statt zu handeln rückt der Erzieher in die Person des Diagnostikers. Er betrachtet das Kind unter dem Aspekt der Sorge und stellt eine Diagnose. So ist vielfach zu beobachten, dass ein Kind, das sich überwiegend von den anderen Kindern separiert, vom Kindergartenpersonal nicht aus dieser Isolation herausund an andere Kinder herangeführt wird. Es wird vielmehr beobachtet und im Sinne partnerschaftlichen Denkens nach Erwachsenenkriterien als depressiv diagnostiziert.
Um es noch einmal deutlich zu sagen, was an dieser Stelle passiert: Der Erzieher, der dieses Kind in seinem spezifischen Verhalten wahrnimmt, sieht, von der Psyche her betrachtet, nicht das ihm als Pädagogen unterstellte Kind, sondern er sieht letztlich sich selbst. Denn genau das meint der Begriff der Projektion. Die natürliche Distanz zwischen Erwachsenem und Kind ist vollständig aufgehoben, der Erzieher nicht mehr in der Lage, seiner eigentlichen Aufgabe nachzukommen, weil er sich bereits unter der Ebene des Kindes befindet. Er muss das Verhalten des Kindes als krankhaft empfinden, denn ein auf seiner Ebene befindliches Individuum würde sich, genau wie er selbst, schlieÃlich anders verhalten und wäre in der Lage, das von selbst zu erkennen, also auf die anderen Kinder zuzugehen.
Die logische Folge dieser aus der Projektion heraus entstandenen Sichtweise ist die
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