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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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ganzen Tag am Schreibtisch verbringen. Wie oft ist der Staubsauger im Haus ein altes Wrack, das ständig benutzt wird, während draußen in der Werkstatt eine 1300  Dollar teure Kreissäge mit drei PS steht, die der Ehemann vielleicht ein- oder zweimal im Jahr benutzt. Wenn ein gutes Werkzeug selten gebraucht wird, muss ich annehmen, dass es gekauft wurde, um das niedrige Selbstwertgefühl des Käufers aufzubessern. Wenn ein schäbiges, unzulängliches Werkzeug ständig gebraucht wird, lässt sich daraus nur schließen, dass der Aufgabe, zu deren Verrichtung es dient, keine große Wertschätzung beigemessen wird. Darin liegt einer der Gründe, warum unsere Städte sozial und von der Bausubstanz und der Infrastruktur her verfallen, während unsere militärische Maschinerie noch im Dunkeln glänzt.
    Dennoch ist es zu einfach, die unausgewogen hohen Ausgaben für Waffensysteme allein als Ego-steigernde Kleinkinderprotzereien höherer Militärs und ihrer Kumpane im Kongress zu sehen. Sicher spielt es eine Rolle, ja, aber wie in einem Handwerksbetrieb lässt sich eine Aufgabe des Militärs mit den richtigen Werkzeugen nun mal besser erledigen. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die Waffen für unser Militär zu beschaffen, haben die moralische Verpflichtung, das Beste und Leistungsfähigste auszusuchen. Im Gegensatz zum Handwerker sind die Leute, die Kriegswerkzeuge, also Waffen, benutzen, allerdings nicht jene, die sie auch kaufen, sondern jene, die auf dem Schlachtfeld sterben. Es hat mich nie aufgeregt, dass eine Waffe »zu teuer« oder »zu aufwendig« war, schlimm war nur, wenn sie nicht funktionierte.
    Der entscheidende Punkt bei Waffentechnologien ist heute, dass wir eine immer größere Entfernung zwischen dem Anwender einer Waffe und ihrer Wirkung ermöglichen können. Das beflügelt die fortdauernde kriegerische Fantasie der »sauberen Tötung«. Jemanden fast mühelos mit einem gekonnten Schlag der oberen beiden Knöchel der Faust zu töten, ist ästhetisch weit angenehmer, als ihn mit einem Stein zu bearbeiten, bis er tot ist. Wie viel besser ist es dann mit einem guten Gewehr? Einer ferngesteuerten Präzisionsbombe? Einer Strahlenpistole, die den Feind einfach verschwinden lässt? Zum Entsetzlichsten an einem Krieg gehören zerfetzte Körper, verrottende Gliedmaßen, hervorquellende Innereien und der Gestank. Ich habe in Vietnam von einer Laserkanone geträumt, mit der man einem Flugzeug den Flügel mit einem haarfeinen Schnitt abtrennen können sollte, oder einem Mann den Kopf, ohne dass ein Tropfen Blut fließen würde.
    Der Traum vom sauberen Töten vermeidet die Finsternis. Er fantasiert von einer Heldentat ohne Kosten, und es ist nur natürlich, dass wir ihn haben. Je weiter wir den technologischen Fortschritt vorantreiben, desto mehr Politiker sind versucht, ihn auch tatsächlich auszuleben. Selbst die Sprache ist ordentlich und sauber, wenn zum Beispiel von einem »chirurgischen Schlag« berichtet wird. Wobei es nichts »Chirurgisches« hat, Gaddafis Kinder zu verstümmeln, die Kinder in Bagdad, Taliban-Kämpfer oder irakische Soldaten. Blutungen zu vermeiden, ist ein Hauptproblem in der Chirurgie, verdeckt Blut doch, was der Chirurg sehen muss, zudem schwächt ein zu großer Verlust den Patienten. Ich verabscheue die Taten nicht annähernd so sehr wie die Scheinheiligkeit, mit der sie begangen werden.
    Gefühllosigkeit und Scheinheiligkeit werden im Bootcamp nicht trainiert. Wenn es um die Gewöhnung an Gewalt geht, ist das Bootcamp ein Mädchenpensionat.
    Auf einer Geschäftsreise nach Kalkutta stieg ich einmal aus dem Zug und stand unversehens einem hübschen kleinen Mädchen gegenüber, dem beide Hände abgeschnitten worden waren, damit es erfolgreicher betteln konnte. Die Kleine hatte eine Tasse um den Hals hängen. Ich konnte mich kaum bewegen, die Welt um mich herum schwankte. Ich gab etwas in ihre Tasse und stolperte entsetzt aus dem Bahnhof. Die übrigen Passanten liefen offensichtlich ungerührt an der Ärmsten vorbei. Wir in den Vereinigten Staaten reagieren auf Gewalt wie die Bürger von Kalkutta auf Szenen grausamer Armut. Wir haben die gleichen Nervensysteme: Die Bürger Kalkuttas werden ständig mit Bildern grausamer Armut bombardiert, wir Amerikaner mit Bildern von Gewalt. Obwohl wir die Inder wegen ihrer Gleichgültigkeit kritisieren, reagieren wir auf genau die gleiche Weise, nur in einem anderen Zusammenhang. Zu unserer Schande müssen wir zudem gestehen, dass die Inder die

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