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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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denken, die im Dschungel saßen und Todesängste ausstanden, während ich den einen Arm um Megs schönen, warmen Körper gelegt hielt und mit dem anderen nach einem frischen Bier griff. Oxford war ein Ort, an dem ich gern begraben werden würde, sollte ich dort eines Tages sterben, jetzt wurde er zu einer kalten grauen Vorhölle zwischen zwei finsteren Wahlmöglichkeiten. Die eine Wahl, die mir mein Gewissen nicht erlaubte, war, den Krieg hier an der Universität auszusitzen, als Cocktail-Kritiker.
    Es war etwa drei Uhr morgens, als John und ich beschlossen, was wir tun wollten. Die engen Straßen Oxfords waren kalt, und auf dem nassen Pflaster spiegelte sich das Licht der Natriumdampflampen. Die Pubs waren seit Stunden geschlossen. Ich habe das Gefühl, dass damals eine Kerze in meinem Zimmer brannte, doch das kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch, auf dem Bild, das ich in mir trage, hat sich dieses kleine Licht, dieses ein bisschen Wärme ausstrahlende Licht eingegraben, draußen der kalte nordatlantische Nieselregen, John und ich allein.
    Tränen drohten mir über die Wangen zu laufen, als die Entscheidung fiel. Wir konnten es beide nicht im College aussitzen, während unsere weniger gut ausgebildeten Altersgenossen die Last zu tragen hatten. Ich selbst konnte nicht desertieren und mit John nach Kanada gehen und er nicht mit mir in den Krieg ziehen, aber wir wollten Oxford gemeinsam verlassen. Ich ging mit ihm zu der Stelle, wo er über die hintere Mauer klettern konnte, da die Tore zum College längst geschlossen waren. Ich schob seine kalte, sandige Sohle in die Höhe, damit er auf die andere Seite kam. Das ist meine letzte Erinnerung an ihn, der kalte, sandige Schuh in meinen Händen, die ihn in die Finsternis hievten.
    John musste nach Kanada, bevor das State Department seinen Pass einzog. Ich selbst hatte nicht vor, in Oxford darauf zu warten, dass sich das Marine Corps entschied, was es mit mir tun wollte. Ich hob all mein Stipendiumsgeld von der Bank ab und ging mit der vagen Vorstellung im Kopf nach Afrika, dass Algerien und das Exil vielleicht gar nicht so schlimm seien und ich am Ende desertieren würde. Aber nach einigen Wochen Nordafrika, in denen ich alles Hasch und Marihuana geraucht hatte, das ich in die Finger bekommen konnte, beschloss ich, die Musik zu hören, die ich aufgelegt hatte. Ich sehe noch den amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Navy-Lieutenants in einer amerikanischen Basis nördlich von Casablanca vor mir, als ihm ein wüstendunkler Hippie in einer Kamelhaar-Dschellaba und absatzlosen gelben Ledersandalen eröffnete, er sei Second Lieutenant Karl Marlantes von der USMCR [54] , der sich zum aktiven Dienst melde.
    Er riet mir, dorthin zurückzugehen, wo mich die Bürokratie wähnte. Also kehrte ich nach England zurück, erhielt meine Befehle und veranstaltete eine Wahnsinns-Abschiedsparty. Das Letzte, was ich von Oxford sah, waren zwei Freunde, die mir vom Bahnsteig aus zuwinkten, während ich, die Taschen voller Hasch, zu ihnen hinaussah. Ich erinnere mich genau, dass ich dachte, ich würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wiedersehen.
    Die Trennung von Meg schmerzte fürchterlich. Sie war nicht zur Party gekommen und auch nicht zum Zug. Wir hatten uns nach einer schlaflosen Nacht allein in der nieseligen, nebelverhangenen Morgendämmerung auf der Christ Church Meadow voneinander verabschiedet. Ihr Gesicht war nass von Tränen. Wir gingen am Fluss entlang, warfen hin und wieder einen kleinen Stock hinein und störten die friedlich schnäbelnden Enten. Wieder und wieder machten wir, um die Traurigkeit zu vertreiben, den dummen Witz, die »erste Ente nach London zu nehmen«. Ich hatte eine Riesenangst davor, getötet zu werden, und bereits begonnen, mich von Meg zurückzuziehen. Sie fühlte sich durch mein Verhalten betrogen und verletzt. Nicht nur, dass ich sie nicht zu meiner Entscheidung befragt hatte, ich hatte nicht einmal daran
gedacht,
mit ihr darüber zu sprechen. Das tat ihr weh, und sie hatte recht. Es wäre mir in jenen Tagen einfach nicht in den Sinn gekommen, dass meine Angelegenheiten auch jemand anderen betrafen, besonders, wenn es um Gewissensentscheidungen ging. Megs Verletztsein mündete in Wut und am Ende in einen Abschiedsbrief, als ich in Vietnam war. Ich schrieb ihr noch mehrere Jahre lang, aber sie antwortete nicht mehr. Irgendwann gab ich es auf. Darüber hinweggekommen bin ich nie. Und doch, so wie ich damals war, glaube ich nicht, dass ich

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