Welch langen Weg die Toten gehen
Gemeinsamkeit verschwunden, jede war in ihre Welt versunken, wo sie jeweils nach dem suchten, was sie zu dieser Zeit an diesen Ort geführt hatte.
Es war die Mitternacht schlagende Kirchturmuhr, die beide aus ihren Gedanken riss.
Auch jetzt sprachen sie weder, noch bewegten sie sich, bevor der zwölfte Schlag über der Rasenfläche tönte und von dort über die schlafenden Cottages und Bauernhöfe hallte, über die nahen Wiesen und die stillen Bäche, bis er schließlich in den angrenzenden Tallichtungen im Nichts verklang.
Nun erhoben sie sich und gingen Seite an Seite durch den Mittelgang.
Draußen blieben sie kurz stehen, sahen zu den leuchtenden Sternen, die über dem dunklen, sorglosen Dorf standen.
»Sieht aus, als ob es morgen wieder schön wird«, sagte Kay.
»Meinen Sie?«, sagte Dolly. »Spielt keine Rolle. Auch wenn es regnet, ist das nicht das Ende der Welt. Wir können ja immer noch schwimmen.«
»Das können Haie auch«, sagte Kay.
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23. März 2002
1
Besuch einer Dame
P eter Pascoe wachte am Samstagmorgen mit einem guten Gefühl auf. Schläfrig versuchte er den noch amorphen Gründen seines angenehmen Zustands Gestalt zu verleihen. Es war der Anfang eines freien Wochenendes; das Konzert am vergangenen Abend konnte geradezu als triumphal bezeichnet werden, Rosie hatte mit einer Verve gespielt, die ihren unbekümmerten Umgang mit der musikalischen Notation visuell mehr als kompensierte. Er und Ellie hatten sie voll der Liebe und Küsse zu Bett gebracht und sich dann selbst mit dergleichen und noch mehr gebettet; und eines der Gebilde, das größtenteils zu seiner Euphorie beitrug, oder sollte man genauer von zweien sprechen, war oder waren in diesem Augenblick einladend dicht gegen seinen Bauch gepresst.
Dann riss ihn das dünne Wehklagen seines Handys aus dem Traum.
Er griff es sich vom Nachttisch, schaltete das Klingeln ab und sah aufs Display. Es war Wield. Was zum Teufel wollte der um zehn vor acht an einem Samstagmorgen?
Während er aus dem Zimmer taumelte, fiel ihm ein, dass seine Verärgerung in die falsche Richtung zielte. An Ausschlafen war sowieso nicht zu denken. Er hatte eine Verabredung mit Dalziel, um Cothersley Hall einen Besuch abzustatten.
Daneben und weit stärker verpflichtend hatte er mit Rosie die Übereinkunft getroffen, sie auf dem Weg zur Dienststelle um neun Uhr zu ihrem Klarinettenunterricht abzusetzen. Nach der vergangenen Nacht würde ihr die Royal Festival Hall vor Augen stehen oder wenigstens jene von Wigmore. Und tatsächlich, als er sich auf der Toilettenbrille niederließ, um den Anruf entgegenzunehmen, konnte er sie bereits eine Tonleiter spielen hören, bei deren Atonalität Schönberg der Mund offen gestanden hätte.
»Ja?«, gähnte er.
»Morgen, Pete«, sagte Wield und klang widerwärtig wach. »Wollte dich noch erwischen, bevor du dich auf den Weg machst.«
Kurz beschrieb er die Ereignisse der vergangenen Nacht im Moscow House.
»Du hast sie nicht zum Verhör reingebracht?«, sagte Pascoe.
»Wäre zwecklos gewesen. Ich hätte dich und Andy aus dem Bett scheuchen müssen, und wozu? Sie hatte ihre Geschichte parat.«
»Die du ihr abgenommen hast?«
»Nie und nimmer. Ich nehme an, sie wollte nachsehen, was drin ist. Und alles, was sie uns nicht finden lassen wollte, hätte sie mitgenommen. Und heute wäre ihr dann irgendwann der verborgene Schrank ›eingefallen‹, und sie hätte uns wie eine gute Bürgerin darüber in Kenntnis gesetzt.«
»Was hast du noch mal da drin gefunden?«
»Einen silbernen Flachmann mit den Initialen P. M. Ein silbernes Feuerzeug mit den gleichen Initialen. Ein Medizinfläschchen, leer, nach dem Aufdruck aber enthielt es Valiumkapseln, die einem Mr. P. Maciver verschrieben wurden. Eine Mikrokassette. Und ein Tagebuch mit der Jahreszahl 1992. Ich hab mir die Sachen noch nicht vorgenommen, außer dass ich sie an Ort und Stelle fotografiert und eingetütet habe. Ich bin jetzt im Labor und hab Dr. Tod angerufen und ihm gesagt, dass ich auf der Stelle ein paar Leute brauche. Sobald sie auftauchen, werde ich die Sachen untersuchen und auf Fingerabdrücke überprüfen lassen. Könnte sich natürlich herausstellen, dass alles voll ist mit Mrs. Kafkas Fingerabdrücken, und sie in das Arbeitszimmer zurückkehrte, um die Beweismittel an sich zu nehmen. Aber in diesem Fall stellt sich die Frage, warum sie sie überhaupt dort liegen gelassen hat.«
»Gute Frage. Wäre mir lieber gewesen, wenn du mich letzte Nacht
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