Wellenzauber
angeschlagen?«
Selbst Martha und Florian schienen an ihrem Verstand zu zweifeln, aber Sina sagte ruhig: »Ich bin auf die kleine Bucht vor unserem Hotel zugeschwommen, doch die Strecke war viel zu weit. Ich hätte es nie geschafft. Plötzlich merkte ich, wie die Strömung mich in eine andere Richtung drängte, um die kleine Landzunge herum.«
Sie erzählte nicht, wie sie sich von den sanften Wellenplötzlich getröstet gefühlt hatte, wie sie gespürt hatte, dass die Wellen ihr helfen wollten. Dann hätten die Freunde sie wahrscheinlich einweisen lassen.
»Der Strand hinter der Landzunge war viel näher als der von unserem Hotel«, fuhr sie fort. »Das Meer hat mich dorthin getragen.«
»Logisch – und dich bei der Gelegenheit mal kurz auf einen Felsen geschleudert.«
»Das war meine eigene Schuld. Ich hätte etwas mehr Abstand zur Landzunge halten sollen. An die Felsen kurz unter der Wasseroberfläche habe ich einfach nicht gedacht.«
»Da hast du ja Glück gehabt, dass dein Freund, das Meer, dir nicht ein paar Haie auf den Hals gehetzt hat. Bei der Blutspur, die du hinter dir hergezogen hast, wäre das vielleicht nicht so gut ausgegangen.«
Hinter dem Sarkasmus der Freundin verbarg sich die ausgestandene Furcht, und Sina drückte kurz Kerstins Hand. »Ich glaube nicht, dass es im Mittelmeer Haie gibt.«
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie Marthas Gesichtsausdruck und erschrak. Offenbar täuschte sie sich. Zum Glück bemerkte Kerstin nichts, und Sina hoffte, das Thema Haie würde nicht mehr angeschnitten werden. Schnell sagte sie: »Also, ich verlasse jetzt dieses Krankenhaus. Ihr könnt mir dabei helfen oder es lassen. Abhauen tue ich so oder so.«
Da blieb den Freunden nichts anderes übrig, als sie im Rollstuhl über die Gänge zu fahren und in Florians Mietauto zu verfrachten. Zuvor unterschrieb Sina ein Dokument, dass sie das Krankenhaus auf eigenes Risiko verließ.
In der Villa Margherita angekommen, war sie am Ende ihrer Kräfte. Schon halb bewusstlos bekam sie noch mit, wie Martha und Kerstin sie ins Bett brachten.
14. Kapitel
Es dauerte vier Tage, bis Sina sich so weit von ihrem Badeunfall erholt hatte, dass sie zum Frühstück wieder das Zimmer verlassen konnte.
Ein Arzt hatte regelmäßig nach ihr gesehen, Martha und Kerstin hatten sich bei ihrer Pflege abgewechselt. Der Schnitt an ihrer Wade hatte dabei die wenigsten Probleme bereitet. Er verheilte gut, und bald schon würde nur noch ein feiner Strich an die Verletzung erinnern. Vielmehr war es Sinas allgemeiner Erschöpfungszustand, der sie so lange ans Bett gefesselt hatte. Der Arzt, ein erfahrener Mediziner, hatte sie darauf angesprochen.
»Sie hätten schon nach zwei Tagen wieder auf den Beinen sein können. Was ist los? Soll ich Sie nicht doch noch einmal ins Krankenhaus einweisen, damit Sie gründlich durchgecheckt werden können?«
Zum Glück hatte Martha an ihrer Stelle geantwortet. »Mach dich nicht so wichtig, Giovanni. Wie lange kennen wir uns jetzt? Dreißig Jahre? Gut, dann kannst du mir einfach mal glauben, dass dem Mädchen nichts weiter fehlt. Sina hat ein bisschen viel Stress gehabt in letzter Zeit, und die Bettruhe tut ihr gut. Basta.«
Dottore Giovanni Carifano hatte daraufhin buchstäblich den Kopf eingezogen und sich verabschiedet.
An diesem Morgen nun, einem der letzten, den Sina auf Sardinien verbringen würde, ging sie zusammen mit Kerstinzum Frühstück. Sie musste sich noch auf die Freundin stützen, und als sie die Hotelterrasse erreichte, war ihr ein wenig schwindelig. Aber dann setzte sie sich in den Schatten einer lachsfarbenen Pergola, trank einen heißen Cappuccino und aß zwei Hörnchen, die hier Brioche hießen, wie sie inzwischen gelernt hatte.
»Bravo«, sagte Kerstin. »So gefällst du mir.«
Ein livrierter Kellner, der inzwischen zu Kerstins Lieblingen gehörte, brachte eine große Schale mit klein geschnittenen Pfirsichen, Stücken von Honigmelone und feinen Ananasscheiben. Dazu zwei Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft und zwei weitere Cappuccini.
»Ah, la dolce vita«, sagte Kerstin seufzend und schenkte dem Kellner ein strahlendes Lächeln.
Dann wandte sie sich wieder Sina zu. »Achtung, ich rede jetzt gleich über Federico, doch wehe, du hörst auf zu essen.«
Ihr Magen wollte sich verkrampfen, aber Sina atmete einfach ein paar Mal tief durch und spießte dann eine halbe Scheibe Ananas auf ihre Gabel. Es war an der Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Und es war auch an der
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