Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Freund hat mich um einen Gefallen gebeten. Ihr sollt einem Typen ein bisschen Angst einjagen. Und darauf versteht ihr euch doch, oder?«
Der Anführer grinste und auch auf den Gesichtern der anderen jungen Kerle breitete sich Heiterkeit aus.
»Klar doch«, sagte der Anführer.
»Der Typ, dem ihr Angst einjagen sollt, ist übrigens schwul«, sagte der Mann im guten Anzug beiläufig.
Das steigerte die Heiterkeit der Sieben weiter. »Geil, eine Schwuchtel«, sagte jemand über den Zigarrenqualm hinweg. Die Mädchen kicherten.
Der Mann im guten Anzug hob die Stimme. Sie klang autoritär, befehlsgewohnt.
»Ein paar Dinge sind bei diesem Job wichtig. Merkt sie euch gut: Ihr sollt dem Typen keine schweren Verletzungen beibringen. Jagt dem Wichser Angst ein. Ein paar Schrammen und blaue Flecke sind auch okay, aber er darf nicht im Krankenhaus landen. Ist das klar?«
Der Anführer hob die Hände. »Klar, kannst dich auf uns verlassen.«
»Wenn der kleine Arschficker flennend am Boden hockt, sagt ihr ihm wörtlich: >Unser Auftraggeber will, dass du dein Maul hältst. Ein paar Tage noch, dann ist alles vorbei. Wenn du so lange schweigst, lassen wir dich am Leben. Wenn nicht, machen wir dich kalt.<»
Der Anführer kratzte sich seinen rasierten Schädel. »Komische Botschaft«, sagte er. »Was ist in ein paar Tagen vorbei?«
»Keine Fragen!«, erwiderte der ältere Mann mit schneidender Stimme. »Wie gesagt, es geht nur darum, einem Freund von mir einen Gefallen zu tun. Alles klar?«
Er zückte seine Brieftasche und drückte dem Anführer tausend Mark in die Hand. Der zögerte. »Wir hatten in letzter Zeit ein paar Ausgaben. Reparaturen an den Motorrädern.«
Mit lässiger Geste gab ihm der Mann weitere fünfhundert. »Ich bin noch nie kleinlich gewesen, stimmt's?«
Er nahm ein Foto aus der Brieftasche und legte es neben dem Anführer auf das Ölfass. »Das ist der Süße. Seine Adresse steht auf der Rückseite.«
Während die sieben Kerle und die Mädchen neugierig das Foto Martin Hatheyers betrachteten, trank der Mann in einem Zug seine Bierflasche leer, nickte ihnen zu und ging.
Susanne hatte es sich in ihrer Wohnung auf dem Sofa bequem gemacht. Nachdem sie sich über die Abendnachrichten ihre tägliche Dosis an Katastrophenmeldungen einverleibt hatte, drückte sie die »Mute«-Taste auf der Fernbedienung ihres Fernsehers und wählte Chris Adrians Nummer. Es dauerte ziemlich lange, bis in der Eifel der Hörer abgenommen wurde. Chris' Stimme klang dünn und leise. Susanne gingen Karlas starre, tote Augen nicht aus dem Kopf und sie fragte sich, ob sie Karlas Tod hätte verhindern können, wenn sie fünf Minuten früher im Dom gewesen wäre. Ziemlich atemlos und schnell erzählte sie Chris, was geschehen war. Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
»Chris?«, fragte Susanne. »Bist du noch da?«
»Ja... «
Was ist mit ihrer Stimme?, wunderte sich Susanne. Sie klingt so komisch. »Hast du eine Idee, was Karla dort unten gewollt haben könnte?«
»Karla? Wo denn?«, fragte Chris. Es klang sehr geistesabwesend.
»Na, unten in der Bischofskrypta! Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Chris nuschelte etwas, das in einem lauten Schniefen unterging.
»Bitte? Was hast du denn?«
»Jonas is' weg!« Das Schniefen wurde heftiger.
»Weg?«, fragte Susanne. »Was meinst du mit weg?«
»Ausgezogen!«
Nun wurde aus dem Schniefen lautes Weinen. Gefühlsausbrüche konnten bei Chris gewaltige Formen annehmen - Freudenausbrüche, Wutausbrüche, Tränenausbrüche.
»Scheiße«, sagte Susanne schuldbewusst. »Und ich labere dich mit meinen beruflichen Problemen voll. Erzähl mal. Was ist denn passiert?«
Zwischen dem Weinen waren nur einzelne Satzfetzen zu verstehen. »Kann er doch nicht machen ... einfach abhauen ... mich allein lassen ... war so schön zwischen uns ... dabei liebe ich ihn doch ... «
Im Fernsehen lief, so weit Susanne es ohne Ton erkennen konnte, eine Reportage über die drohende Klimakatastrophe. Man sah Bilder von gewaltigen Sturmfluten und abgestorbenen Wäldern. Ein Diagramm zeigte den Anstieg des Kohlendioxid-Ausstoßes bei der Verbrennung von Kohle und Erdöl.
Susanne hörte einfach zu und flüsterte zwischendurch ein paar beruhigende Worte. Schließlich ging Chris' Weinen in ein leises Schnüffeln über. Sie schnäuzte sich die Nase und hielt dabei offenbar den Hörer ein Stück weg.
»Er kommt bestimmt zurück«, sagte Susanne, ohne sich dessen sicher zu sein. Aber sie wollte Chris
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