Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
die Welt hatte sich verändert, weil Joe und Damien nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg nicht mehr dieselben gewesen waren.
»Wir wollten gute Väter sein«, hörte Joe sich sagen und blieb vor dem Käfig der Schneeeule stehen.
»Wer, Joe?«
»Damien und ich. Es war das Wichtigste auf der Welt für uns, weil wir selber einen wunderbaren Vater hatten. Er war immer ein leuchtendes Vorbild für uns. Er redete mit uns, war immer für uns da, egal, ob wir große oder kleine Probleme hatten. Vor allem redeten wir darüber.«
Neve nickte und wartete.
»Das taten wir nicht.« Joe betrachtete das Schneeeulen-Männchen. »Konnten wir wohl nicht, schätze ich. Wegen der schrecklichen Dinge, die wir im Krieg erlebt hatten. Damien, mein sensibler Bruder, ein Künstler durch und durch … Er warf Brandbomben auf Dresden ab.«
Neve schwieg; die Worte hingen in der Luft, trotz des Lärms, den die Vögel machten. Joe schloss die Augen, sah das Feuer vor sich, das vom Himmel herabregnete. Er konnte sich vorstellen, wie es gewesen sein musste, denn er hatte das Flammenmeer gesehen – die Männer, die sich retten wollten und bei lebendigem Leib verbrannten, als sie versuchten, von der Fenwick wegzuschwimmen, die von U-823 mit Torpedos in Brand geschossen worden war.
»Die Folge war, dass mein Bruder mit dem Malen aufhörte und zu trinken begann.«
»Das tut mir leid.«
»Es war eine Flucht – vor den Menschen, die ihn liebten, vor sich selbst. Für mich war es grauenhaft, ihn in diesem Zustand zu sehen. Vielleicht habe ich die Verzweiflung meines Bruders als Rechtfertigung benutzt, selber Vergessen im Alkohol zu suchen. Wir trafen uns in irgendeiner Bar, saßen stumm da und tranken. Ich redete mir ein, dass ich auf diese Weise ein Auge auf ihn haben würde.«
»Vielleicht war es so.«
Joe schüttelte den Kopf. »Nein, es war ein Vorwand.«
»Ein Vorwand?«
»Ich hatte Angst. Angst vor meinen eigenen Gefühlen, die ich unter Verschluss hielt, vor dem, was ich selbst gesehen und getan hatte. Und ich hatte Angst, meinen Bruder endgültig zu verlieren. Er achtete nicht mehr auf sich – hatte Schmerzen in der Seite und ignorierte sie. Ging nicht zum Arzt, bis es zu spät war. Vermutlich hatte er Schuldgefühle und dachte, dass er keine Hilfe verdiente.«
»Was war mit ihm?«
»Krebs. Es fraß ihn von innen auf. Als er schließlich operiert und bestrahlt wurde, war es zu spät.«
»Wie hat seine Familie diesen Schlag verkraftet?«
Joe saß stumm da, erinnerte sich an Damiens letzte Tage. Die Beziehung zwischen Genevieve und ihm war am Ende von Liebe und Verzeihung geprägt gewesen, aber die Umkehr kam zu spät. »Trotzdem liebten sie ihn. Wir alle – schon immer.«
»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Neve.
»Was soll mit mir sein?«
»Haben Sie auf sich geachtet?«
Er sah sie dankbar an; ihrem Tonfall entnahm er, dass die Antwort sie wirklich interessierte. »Anfangs schon. Als ich sah, dass Damien immer schwächer wurde, wusste ich, dass ich nicht so enden wollte. Ich wusste, dass ich …, nun, ich hörte mit dem Trinken auf.«
»Tim muss sehr froh darüber gewesen sein.«
Joe zuckte die Achseln. »Ich verbrachte damals so viel Zeit mit den Vögeln statt mit meinem Sohn, dass ich nicht sicher bin, ob er es überhaupt bemerkte.«
»Ich denke schon«, erwiderte Neve ruhig.
Joe sah sie an. Obwohl sie ihm sehr jung vorkam, lag in ihrem Blick Weisheit, eine Reife, die man erst in seinem Alter erlangte. Er hatte das Gefühl, als hätte sie selbst einige Kämpfe ausfechten müssen. Und Narben davongetragen, die ihrer Schönheit aber keinen Abbruch taten.
»Nett von Ihnen, das zu sagen.«
»Ihr Sohn ist gut geraten.«
Joe senkte den Kopf, er konnte sie nicht ansehen. »Er ist aber nicht glücklich. Tim ist ehrlich, rechtschaffen, hilfsbereit, vertrauenswürdig. Aber glücklich ist er nicht.«
»Joe …«
»Und genau das ist es doch, was sich Eltern für ihre Kinder am meisten wünschen. Man versucht, sie zu anständigen Menschen zu erziehen, aber im Grunde geschieht das von allein. Ich kann mir nicht einmal zugutehalten, dass aus Tim etwas geworden ist.«
»Dann sollten Sie sich auch für alles andere keine Schuld geben.«
»Ich dachte …« Joe sah zu dem Käfig mit den beiden Schneeeulen hinüber, die Seite an Seite hockten. Normalerweise war dies ihre Schlafenszeit, und genau das taten sie auch. Ihre Schultern berührten sich, zwei verletzte Vögel, weit von ihrer Heimat entfernt.
»Woran denken Sie,
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