Wenn du wiederkommst
einer Klage drohten, konnte ich mich revanchieren.
Auch daran erinnere ich mich, sage ich, es war eine schlimme Zeit für ihn, und ich habe mich damals gefragt, warum von einem Tag auf den anderen von der Klage nicht mehr die Rede war. Er hat nie wieder ein Wort darüber verloren. Ich verschweige, daß er danach keine großen Prozesse mehr hatte, er nahm alle Fälle, die er bekam, und oft half er, obwohl er wußte, daß seine Klienten ihn nicht bezahlen konnten.
Er hat sich nie wieder davon erholt, sage ich, und ich weiß bis heute nicht, was wirklich passiert ist.
Jetzt ist es ja egal, erwidert Steve. Er war kein Taktiker, und er war viel zu unvorsichtig, er war diesen Leuten einfach nicht gewachsen, sagt er in einem Tonfall, als wolle er das Gespräch mit diesem Satz beenden.
Bevor er geht, legt er mir mit einer fast verstohlenen Geste die Hand auf den Arm, so leicht, daß ich ihren Druck nicht spüre: Ihr Mann war sehr stolz auf Sie. Ich glaube, er hat Sie sehr geliebt.
Hat er Ihnen das gesagt? frage ich erstaunt.
Er hat oft von Ihnen gesprochen und davon, daß er sich wünschte, Sie kämen zu ihm zurück. Aber er hat auch gewußt, wie wichtig Ihre Arbeit für Sie ist. Daß er stolz auf Sie war, ja, das hat er gesagt. Er schüttelt den Kopf. Er hat sich ja immer gern der Realität verweigert. Auf jedem Formular hat er das Kästchen verheiratet angekreuzt. Er hat Ihnen nie den Schutz entzogen, den dieser Status für Sie bedeutete, eine mitunter riskante Sache für einen Anwalt.
Danke, sage ich, danke, und halte seine Hand fest, damit er noch eine Minute bleibt und nicht aufhört von Jerome zu reden, aber mir fällt keine Frage ein.
Er hebt bedauernd die Schultern, während er mir seine Hand entzieht. Es war wohl nicht ganz einfach, mit ihm zu
leben, murmelt er, bereits halb abgewandt, als er schon die Stufen hinuntersteigt.
Und ich lasse ihn gehen, ohne zu wissen, wie er mit vollem Namen heißt und wer er ist, der einzige unter den Kondolenzbesuchern, der mich in der Schiwa-Woche getröstet hat. Während ich in der Haustür stehe und zusehe, wie er in sein Auto steigt und die Scheinwerfer angehen, denke ich plötzlich: das kann nicht stimmen, was er über Jeromes Sehnsucht nach einem gemeinsamen Leben gesagt hat. Er war es doch, der mich nicht mehr wollte, nicht umgekehrt. Er war es, der sagte, entweder du lernst, dieses Land und dieses Leben als dein Zuhause zu betrachten, oder du gehst. Hätte ich ihn all die Jahre so sehr mißverstehen können? Aber Steves Rücklichter sind bereits in der Dunkelheit verschwunden, und der letzte, der sich an diesem Abend verabschiedet, sagt statt eines Grußes wieder, time to get on with your life. Ich nehme mir vor, den Namen dieses Mannes herauszufinden. Es muß doch noch Unterlagen zu Martys Mordprozeß geben.
Wenn am Abend die Haustür hinter dem letzten Besucher ins Schloß gefallen ist, gehe ich schwindlig vor Erschöpfung ins Bett und werde von Alpträumen heimgesucht, in denen ich von Fremden aus meinem Haus gedrängt werde, in denen ich vergeblich auf Jerome warte. Komm zurück, sage ich im Traum. Er steht am Fenster, abgewandt, es ist früher Morgen, und ich versuche, meinen Zorn zu beherrschen, denn er war die ganze Nacht weg, und ich weiß, mit wem. Nein, sagt er, ich liebe dich nicht, ich habe dich nie geliebt, und sein Gesicht, das ich nur als Spiegelung in der Fensterscheibe sehen kann, löst
sich auf. Er war doch gerade noch da, sage ich zu jemandem, der ins Zimmer kommt, hast du ihn gesehen? Aber der andere starrt mich verständnislos an, da ist nichts als ein hell erleuchtetes, leeres Zimmer und eine schwarze Fensterscheibe. Jedesmal, wenn ich mich niederlege, hoffe ich auf eine Nachricht von ihm, als wären wir den Toten in den Träumen näher, aber meine Träume schüren nur meine Angst, daß er mich nie geliebt hat.
Ilana träumt fast jede Nacht von ihm, er redet mit ihr am Telefon, versucht ihr zu erklären, daß er nun nichts mehr für sie tun kann, aber daß sie sich nicht um ihn sorgen soll, er sagt im Traum zu ihr: Ich will nur, daß du glücklich bist. Sie träumt, sie sei mit ihm im Münzengeschäft, während er versucht, etwas vom Boden aufzukehren, doch als sie sich anschickt ihm dabei zu helfen, sagt er, du mußt nicht mit mir tauschen, es ist schon richtig so. Sie träumt, er fahre in einem orangefarbenen Lexus vor, käme die Stufen herauf und rufe beim Eintreten: Hi, darling! In ihren Träumen wartet sie jede Nacht auf seinen Anruf
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