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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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glücklichen Fang der Seerosenblüten brachte den Ablauf unserer Bewegungen durcheinander, so daß mein rechter Arm sich über der Leere schloß, indes meine linke Hand, nachdem sie den Stengel losgelassen, beim Zurückfahren in Frau Miyagis Schoß traf, der sie bereitwilligst aufzunehmen und gleichsam festzuhalten schien mit einem hingebungsvollen Erschauern, das sich meiner ganzen Person mitteilte. In diesem Moment entschied sich etwas, das im weiteren unabsehbare Folgen haben sollte, wie ich noch berichten werde.
    Als wir erneut unter dem Ginkgo vorbeikamen, sagte ich zu Herrn Okeda, das Wesentliche bei der Betrachtung des Blätterregens sei nicht so sehr die Wahrnehmung jedes einzelnen Blattes als vielmehr der Abstand zwischen dem einen Blatt und dem anderen, also der leere Luftraum, der sie trennt. Was ich begriffen zu haben glaubte, war dies: Das Fehlen von Sinneseindrücken in weiten Teilen des Wahrnehmungsfeldes ist die notwendige Bedingung dafür, daß die Sensibilität sich räumlich und zeitlich zu konzentrieren vermag, genauso wie in der Musik die Stille im Hintergrund nötig ist, damit die Töne sich von ihr abheben können.
    Herr Okeda meinte, bei den taktilen Sinneseindrücken sei das zweifellos wahr - eine Antwort, die mich sehr überraschte, denn ich hatte tatsächlich an die Berührung der beiden Körper seiner Tochter und seiner Gattin gedacht, als ich ihm meine neuen Erkenntnisse über die Blätter mitteilte. Herr Okeda sprach weiter in aller Unbefangenheit von den taktilen Sinneseindrücken, als wäre es völlig klar, daß meine Worte nichts anderes betrafen.
    Um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, wagte ich den Vergleich mit dem Lesen eines Romans, bei dem ein sehr ruhiger Gang der Erzählung, immer im gleichen gedämpften Ton, zur Hervorhebung wohlkalkulierter subtiler Eindrücke dient, auf die das Augenmerk des Lesers gelenkt werden soll; allerdings muß man im Fall des Romans der Tatsache Rechnung tragen, daß in der Aneinanderreihung von Sätzen immer nur ein solcher Eindruck auf einmal registriert werden kann, während die Weite des Gesichts- und Gehörfeldes gleichzeitig ein viel reicheres und komplexeres Gesamtbild wahrzunehmen erlaubt. Die Empfänglichkeit des Lesers für die Gesamtheit der Eindrücke, die der Roman ihm vermitteln möchte, ist in mehrfacher Hinsicht beschränkt, erstens weil sein oft hastiges und zerstreutes Lesen eine gewisse Anzahl von effektiv im Text enthaltenen Zeichen, Signalen und Intentionen übersieht oder gar nicht wahrnimmt, und zweitens weil es stets etwas Wesentliches gibt, das außerhalb des geschriebenen Satzes bleibt, denn schließlich sind die Dinge, die der Roman nicht sagt, zwangsläufig zahlreicher als die, die er sagt, und nur dank einer besonderen Aura um das, was geschrieben steht, kommt es zur Illusion, daß man auch zu lesen vermeint, was nicht dasteht. .. Zu all diesen meinen Überlegungen schwieg Herr Okeda, wie er es immer tut, wenn ich zuviel rede und mich am Ende hoffnungslos in verzwickten Gedankengängen verheddere.
    Während der folgenden Tage fand ich mich häufig allein mit den beiden Frauen im Hause, da Herr Okeda beschlossen hatte, die Recherchen in der Bibliothek, die bisher meine Hauptaufgabe gewesen waren, selbst vorzunehmen und mich statt dessen lieber die monumentale Kartei in seinem Arbeitszimmer neu ordnen zu lassen. Ich hatte begründete Sorge, daß Herrn Okeda meine Gespräche mit Professor Kawasaki zu Ohren gekommen waren, auch ahnte er wohl meine Absicht, mich von seiner Schule zu trennen, um mich akademischen Kreisen zu nähern, die mir bessere Zukunftsaussichten garantierten. Gewiß war mir ein allzulanges Verbleiben unter der geistigen Kuratel des Herrn Okeda nicht förderlich: Ich entnahm es den sarkastischen Bemerkungen, die Professor Kawasakis Assistenten über mich machten, obschon ihnen doch wahrlich nicht jeder Kontakt mit anderen Richtungen untersagt war wie meinen Studienkollegen. Kein Zweifel, Herr Okeda wollte mich den ganzen Tag lang in seinem Hause festhalten, um mich am Flüggewerden zu hindern und die wachsende Unabhängigkeit meines Geistes zu bremsen, wie er es bei seinen anderen Schülern getan hatte, die längst so gebrochen waren, daß sie einander nur noch überwachten und beim geringsten Aufbegehren gegen die uneingeschränkte Autorität des Meisters denunzierten. Ich mußte mich schnellstens entscheiden, meinen Abschied von Herrn Okeda zu nehmen, und daß ich's hinausschob, lag einzig

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