Wenn ich dich gefunden habe
konnte sie nichts mehr schocken. Oder?
»… war Isabelle Dupoint seine Frau.«
35
Als Mrs. Flood tags darauf nach Hause kam, hatte sie eine Rolle schwarze Müllbeutel dabei. Sie machte sich eine starke Tasse Kaffee, zog sich Gummihandschuhe über, füllte einen Eimer mit warmem Wasser und Reinigungsmittel und begab sich entschlossenen Schrittes ins Obergeschoss.
Dara folgte ihr. »Was hast du vor?« Die verbissene Miene ihrer Mutter machte sie nervös.
»Etwas, das ich schon lange hätte tun sollen.« Mrs. Flood ging ins Schlafzimmer, öffnete Mr. Floods Schrank, riss eine Mülltüte von der Rolle und schüttelte sie, bis sie sich mit Luft füllte wie ein Ballon. Dann begann sie ohne Umschweife, Mr. Floods Kleider von den Bügeln zu zerren. In fieberhaftem Tempo rollte sie jedes einzelne Stück zusammen und pfefferte es in die Tüte. Sie stieg auf einen Hocker, wischte mit einer einzigen Armbewegung sämtliche Kleider vom Regalbrett auf den Boden und stopfte auch diesen Haufen in den Beutel. Als Nächstes wandte sie sich – schon ziemlich außer Atem – dem Nachttisch zu. Dort gab es ohnehin nicht viel, außer den fleckigen Manschettenknöpfen und dem Staub, der sich über die Jahre angesammelt hatte. Der Anblick weckte in Dara eine Vision der unglücklichen Miss Havisham aus Charles Dickens Roman Große Erwartungen. Die vor dem Altar sitzengelassene Braut, die in ihrem vergilbten Brautkleid an der Hochzeitstafel thront, vor ihr der vor sich hin schimmelnde, unnütze Brautstrauß.
Mrs. Flood hielt die Manschettenknöpfe hoch und fragte Dara: »Willst du die haben?« Dara schüttelte den Kopf, und die Manschettenknöpfe verschwanden sang- und klanglos im gähnenden schwarzen Schlund des Müllbeutels. Danach kam das Badezimmer dran. Mr. Floods Kamm, an dem noch eines seiner kohlrabenschwarzen Haare hing, wanderte in die Tüte, gefolgt von einer Flasche Rasierwasser, die so alt war, dass die Schrift auf dem sich ablösenden Etikett verblasst war. Dara wusste nicht, wie es hieß, aber sie erinnerte sich an den würzigen Duft. Eine Zahnbürste, ein rostiger Rasierer, eine noch unangebrochene Packung Ersatzklingen, eine Pinzette, eine Tube Frisiercreme, eine Duschhaube, ein hart gewordener Waschlappen und eine uralte Strumpfhose, die er sich, wenn man Mrs. Flood glauben konnte, nach dem Haarewaschen über den Kopf gezogen hatte, damit die Haare nicht senkrecht in die Luft standen.
Als alles in der Tüte gelandet war, ließ sich Mrs. Flood nach Luft ringend auf den geschlossenen Toilettendeckel sinken und musterte Dara.
»Du könntest dich nützlich machen und dir die Schuhe vornehmen.«
»Alle?«
»Nein, lass uns zur Erinnerung an ihn ein Paar behalten, ja?« Ihre Worte klangen scharf, doch die Stimme war leiser als sonst, als hätte ihr jemand den Wind aus den Segeln genommen.
Dara entwand ihrer Mutter die schwarze Tüte. Mrs. Flood atmete einmal tief durch, dann stand sie auf und griff nach dem Putzschwamm, der im Eimer mit der Seifenlauge trieb, um die Ringe wegzuschrubben, die Mr. Floods Mahnmale im Badezimmerschrank hinterlassen hatten.
Dara kehrte, den Müllbeutel hinter sich her schleifend,
ins Schlafzimmer ihrer Mutter zurück. Es hätte noch weit mehr hineingepasst, aber abgesehen von den Schuhen gab es nichts mehr zum Wegwerfen.
Angel kommentierte die Ausmistaktion mit keinem Wort. Sie tat sogar, als wäre sie etwas völlig Normales. Etwas, das nicht zum ersten Mal geschah. Dafür kommentierte sie etwas ganz anderes, als sie sich später in der Küche etwas Brot toastete. »Er ist nett, nicht?«, sagte sie zu Dara, und wieder huschte das ansatzweise Lächeln über ihr Gesicht.
Es brachte Dara ganz aus dem Konzept. »Wer?«, fragte sie.
»Stanley Flinter«, antwortete Angel.
Dara nickte und reichte ihr die Marmelade aus dem Kühlschrank. »Er war sehr hilfsbereit.«
»Hilfsbereit?« Angel hatte sich bislang nicht erkundigt, was ihr Stanley bei seinem gestrigen Besuch erzählt hatte. Dara hatte das Gefühl, dass sie es nun auf diese Weise tat.
»Er hat jemanden in Paris ausfindig gemacht, der Mr. Flood kannte. Oder vielleicht immer noch kennt.«
Angel schüttelte den Kopf und widmete sich wieder ihrem Toast. »Du wirst ihn nie finden. Es wäre einfacher für dich, wenn du dich endlich damit abfändest, so wie ich.«
»Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir ihn finden«, beharrte Dara. Wieder einmal staunte sie über ihren Rollentausch. Jetzt war sie plötzlich die Optimistin.
Zum
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