Wenn ich dich gefunden habe
weiß, dass sie einen praktisch blendeten.
Lorcan nickte, während Ian eine gestenreiche Erklärung für die Ordnungswidrigkeit ablieferte, wegen der ihn Lorcan angehalten hatte. Er presste sich eine Hand auf die Brust und vollführte mit der anderen kreisende Bewegungen, aber Lorcan ließ sich natürlich nicht davon beeindrucken. Stanley wusste genau, was in seinem Bruder vorging. Er wollte kurzen Prozess mit dem Kerl machen, damit er in einer halben Stunde, wenn seine Schicht vorbei war, in Ruhe nach Hause fahren und sein »Aufreißeroutfit« anziehen konnte: die Baggy Jeans, die seine dünnen Beine verbarg und ein blütenweißes Hemd, das er ausschließlich mit Daz wusch, im Waschbecken. Dazu würde er eine Kopie der Sonnenbrille aufsetzen, die Tom Cruise in Top Gun getragen hatte, denn Lorcan war überzeugt, dass er damit bei den Frauen besser ankam, wobei Stanley nicht den Eindruck hatte, dass es klappte. Cora hatte Lorcan erzählt, es würden sich jede Menge Frauen auf der Party tummeln, und obwohl sie nicht auf ihren Familienstand eingegangen war, nahm der von Natur aus optimistische Lorcan an, dass sie für diskreten, hemmungslosen, unverbindlichen Gelegenheitssex zu haben sein würden.
Den Typ, dem er den Strafzettel verpasste, bezeichnete
er später auf der Party als »Schwachkopf«, und Stanley musste ihm wohl oder übel recht geben.
Dara hatte beschlossen, sich zu Fuß auf den Weg zu ihrer Verabredung mit Ian zu machen. Sie hatte ihm eine SMS geschickt und darum gebeten, sie ausnahmsweise im St. Anne’s Park zu treffen. Es war noch hell, obwohl der Tag bereits zur Neige ging und es inzwischen kühl geworden war, sodass sie bereits wünschte, sie hätte ihren Kapuzenpulli mitgenommen. Sie versuchte, sich zurechtzulegen, was sie Ian sagen würde, doch ihre Gedanken kreisten immer wieder um Stanley, und dann lächelte sie, obwohl sie bei all ihren Sorgen eigentlich nicht allzu viel Anlass dafür hatte.
Sie lächelte den ganzen Weg bis zum Ende der Straße.
Ian Harte bog nicht links ab, wie er es hätte tun müssen, wäre er tatsächlich zu seinem Kumpel Dickie gefahren, mit dem er an diesem Abend angeblich zum Pokern verabredet war, und Stanley verspürte Enttäuschung, wie immer, wenn das Subjekt, das er beschattete, nicht die richtige Abzweigung nahm. Seiner Erfahrung nach taten sie das nur selten, aber diese unerfreuliche Tatsache machte seine Arbeit auch nicht einfacher, wenn es später darum ging, seine Auftraggeber über derlei Details zu informieren.
Ian fuhr nun langsamer und mit etwas weniger aggressiver Gestik, was wohl auf die kurze Begegnung mit dem Hüter des Gesetzes zurückzuführen war. Er parkte den Jeep am St. Anne’s Park und begann erneut sein Gesicht im Rückspiegel zu inspizieren. Stanley fuhr an der Einfahrt zum Parkplatz vorüber und stellte seinen Ford in einiger Entfernung am Straßenrand ab. Er griff nach seiner Jacke.
Es war ein warmer Tag gewesen, aber jetzt, da die Sonne unterging, wurde es unerwartet kühl.
Dann nahm er die Nikon und stieg aus dem Wagen. Mrs. Harte wollte Fotos. Er würde den Park wohl oder übel durch das Wäldchen betreten und mal wieder auf einen Baum klettern müssen. Tja, dann mal los.
Dara war inzwischen am Edenmore-Eingang angelangt. Durch diesen Eingang hatten auch ihre Eltern an vielen Sonntagnachmittagen nach dem Rindsbraten zum Mittagessen den Park betreten und abwechselnd den Kinderwagen mit der schlafenden Angel geschoben. Mr. Flood hatte den Wagen immer mit einer Hand geschoben und mit der anderen die Hand seiner Frau gehalten. »Selbst bei Schlaglöchern oder beim Überqueren von Straßen«, hatte ihnen Mrs. Flood einmal anvertraut, nachdem sie an Weihnachten einen Krug Glühwein getrunken hatten. »Nie hat er meine Hand losgelassen.«
Dara wich den Stellen des Pfades aus, an denen die Wurzeln der Bäume den Asphalt aufgeworfen hatten. Sie sah nach links, nach rechts und noch einmal nach links, ehe sie die Straße überquerte und den Rosengarten betrat. Noch immer hatte sie keine Ahnung, was sie zu Ian sagen sollte. Sie hob einen Zweig auf, sog an der Spitze wie an einer Zigarette und ging weiter.
Der Baum war perfekt. Glatte Rinde, ein paar Äste, die so tief unten waren, dass sich Stanley daran mühelos hinaufschwingen konnte, und nahe genug am Parkplatz. Von hier würde Ian Harte, der nach wie vor in seinem Wagen saß und sich im Rückspiegel betrachtete, durch das Teleobjektiv gut zu erkennen sein.
Allmählich
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