Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
gehauen. Für den Besucher von heute gibt
es daneben ein Eingangstörchen.
Ich ziehe an der Kupferkette neben dem
Törchen. Irgendwo im Innern der Villa schrillt eine Glocke. Kurz darauf
knirschen Schritte auf dem Kiesweg. Ein betagtes Dienstmädchen öffnet mir. Sie
hat nichts von einer Kurtisanenzofe an sich, die an Tagen mit besonderem
Andrang Überstunden zu machen hat. Na ja, Mutter Mèneval lebt jetzt schließlich
auf dem Altenteil. Ich liefere meine Visitenkarte ab und werde in einen Salon
geführt. Die Möbel hier im Erdgeschoß sind zusammengewürfelt. Außerdem ist der
Raum mit Bildern, einem Flügel und einer Harfe geschmückt. Es sieht hier aus
wie in der Rumpelkammer von Sarah Bernhardt. Ein orientalischer Bazar, Marke
Flohmarkt.
Während der dienstbare Geist Madame
benachrichtigt, sehe ich mir ein Bild genauer an, das an einem Ehrenplatz
hängt. Es stellt eine schöne junge Frau mit schwindelerregendem Dekolleté dar.
Ihr Anblick weckt in mir kannibalische Gelüste. Ihr Blick scheint zu sagen: ,Kommen Sie doch heute abend zu mir.’ Ein nicht mehr
einzulösendes Versprechen. Auf einem Schildchen kann der Betrachter lesen, daß
es sich um Mademoiselle de Mèneval handelt, gemalt von Archet. Entstehungsjahr
des Meisterwerks: 1908.
Hinter mir höre ich so was wie’n
Knochenklappern. An einer Seite des Salons wird ein Vorhang zur Seite
geschoben, und herein tritt die Hausherrin.
Das Nachtgespenst ist dürr und
vertrocknet. Wird wohl ihre achtzig Lenze auf dem krummen Buckel haben, wie
Régine geschätzt hat. Nach einer Spur der ehemaligen Schönheit sucht man
vergebens. Auch wenn die Gräfin geizig ist: Mit ihren Reizen hat sie so wenig
gegeizt, daß nichts mehr davon übriggeblieben ist. Ihre Kleidung ist ein
Kompromiß zwischen der Mode ihrer Blütezeit und der von 1958. Die Wirkung ist
deprimierend. Die dick aufgetragene Schminke kann die braunen Schatten unter
ihren flinken Äuglein nicht verbergen. Gestern das Vergnügen, heute das Herz.
Früher wird das Herz bei dem Vergnügen wohl kaum eine Rolle gespielt haben. Mit
ihren Beinen ist auch nicht mehr viel los. Gestützt auf einen Stock, schleppt
sich Madame mühevoll vorwärts. Daher das Knochengeklapper, das ich eben
wahrgenommen habe. Es könnte aber auch von der vierreihigen Perlenkette
verursacht worden sein, die das — Gott sei dank
geizige! — Dekolleté bedeckt. Alles in allem eine schaurige Sinfonie!
„Sie sind Nestor Burma?“ fragt sie
einigermaßen besorgt, da sie meinen Beruf auf der Visitenkarte gelesen hat.
Was für eine Stimme! Seit dem Lächeln
und dem Blick auf dem Porträt ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen.
Das bleibt nicht in den Kleidern hängen...
„Zu Ihren Diensten, Frau Gräfin“, sage
ich und verbeuge mich leicht.
Die Anrede schmeichelt ihr
offensichtlich.
„Setzen Sie sich doch, Monsieur.“
Ich gehorche. Sie nimmt ebenfalls
Platz.
„Sie sind also Privatdetektiv“,
bemerkt sie und wedelt mit meiner Visitenkarte. „Womit können Sie mir denn
dienen?“
„Mit nichts. Das war nur eine
Redensart, die ich im Kino gehört habe. Aber Sie können mir dienen,
Madame. Und zwar mit Informationen über zwei ehemalige Mieter von Ihnen.
Charles Désiris und Yolande Mège.“
Unterwegs habe ich mir vorgenommen,
nicht um den heißen Brei herumzureden. Da Huguette de Mèneval das Geld so sehr
liebt... Demonstrativ winke ich mit einem Bündel Geldscheine. Eine
unmißverständliche Geste, die wie eine Verjüngungskur wirken kann. Oder Madame
wird böse. Dann werde ich weitersehen. Sie wird aber nicht böse.
„Désiris und Yolande?“ fragt sie
überflüssigerweise.
„Ja.“
„Warum?“
„Madame“, antworte ich lächelnd, „die
herausragende und geforderte Eigenschaft eines Privatdetektivs ist Diskretion.“
Mit anderen Worten: ,Ich werde dir nicht erzählen, warum ich frage oder für wen ich arbeite. Aber wenn
du dich kaufen läßt, erzähl ich’s genausowenig weiter.“ Das versteht die Gräfin
sofort.
„Was wollen Sie wissen?“ fragt sie in
einem Ton, den man vor einigen Jahrzehnten ,hingebungsvoll’ genannt hätte.
Dazu paßt ihre Geste, mit der sie, so
als wär’s die natürlichste Sache der Welt, ihre Hand auf ihr Knie legt, die
Handfläche nach oben. Ich brauche nur noch die Scheine hineinzulegen. Und das
tue ich auch.
„Alles, was Sie selbst wissen“,
antworte ich auf ihre Frage.
Es beginnt eine Unterhaltung, die man
angeregt nennen könnte. Notizen aus dem
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